Venus
glücklich machen«, ruft Benito. »Obwohl er einen Riesenschwanz haben soll. Hat mir Baula erzählt. Im Bett!« Er lacht dreckig.
»Arme Sau«, murmelt Venus. »Arme, arme Sau!« Sie murmelt es auf dem Heimweg, sie murmelt es noch, als sie schon im Hausflur ist. Sie murmelt es auf der Treppe, auf dem Flur, unter der Dusche. Mit offenen Augen liegt sie im Bett. Baula, der Stiefeltruthahn. Sie ist mit Arjuna verheiratet. Sie war mit Benito im Bett? Und mit …? Unmöglich. Verleumdung. Vergiftung. Besoffenes Gelalle.
Sie ist schon eingeschlafen, als sie draußen wieder Krach hört. Alien ist zurückgekommen.
»Was ist das für ein T-Shirt?«, hört sie durch die Tür Winter fragen, ungewohnt laut, deutlich, scharf.
»Was willst du? Ein T-Shirt halt«, sagt Alien.
»Ich will wissen, was das für ein T-Shirt ist, du Schwein«, schreit Winter. »Ich schlag dich tot, du Drecksau, das T-Shirt ist von der Schlampe, von der Ficknutte, bei der du warst, sie hat es dir gegeben, es riecht nach Nuttenparfüm, ich riech das doch, sie hat es dir gegeben, du hast sie gefickt, gefickt hast du sie.«
Er lacht. »Halt’s Maul!«, sagt er. »Du bist hysterisch. Du solltest mal sehen, wie hässlich du bist, wenn du hysterisch bist … Hey, hey, hey … lass das … was soll das? Willst du mich schlagen? Willst du mich schlagen?«
10 Kriegsbemalung
Als der Wecker klingelt, fühlt sich Venus, als sei sie es gewesen, die geschlagen worden ist. Als hätte sie nur fünf Minuten geschlafen. Als hätte sie einen furchtbaren Fehler begangen. Sie stemmt sich hoch, klettert die dilettantisch zusammengezimmerte Treppe vom Hochbett herunter und macht sich auf den Weg ins Bad. Sie hat zugenommen, ist also nicht mehr dürr, sondern normal schlank. Auf ihrer weißen Gesichtshaut sprießen Sommersprossen, die Hände haben vom Spülen eine leicht rötliche Tönung bekommen, die Fingergelenke wirken kräftiger. Es kann sie nicht mehr jeder Windhauch, jede Kakerlake, jeder schmutzige Küchentopf umpusten. Wie wir finden, hat die Prinzessin ein, zwei Schritte auf das Aschenputtel zu gemacht.
Sie betritt den Regenbogensaal und erweist den Göttern ihre Ehre. Was für sie noch vor einigen Wochen undenkbar war, bereitet ihr nun nicht die geringste Mühe, niederzuknien und mit der Stirn den Boden zu berühren. Die Morgenzeremonien sind Venus mittlerweile fast schon vertraut. Routine ist eingezogen in ihr neues Leben. Wann immer sie verschläft, wird Toga sie schlüsselbundrasselnd, mit hartem Fingerknöchel klopfend, wecken. Sie weiß, an welchem Wochentag Maria Magdalena welche Kopftuchfarbe trägt, sie kennt den Gesichtsausdruck von Mau, wenn er »seine Tage« hat oderauf Diät ist oder dieselbe bricht. Sie weiß, dass Winter wie eine an die Wand gelehnte Leiche aussieht, wenn sie im Halbdunkeln einschläft, wenn ihr Kiefer herunterklappt und ein Spuckefaden aus ihrem Mundwinkel läuft. Nur das Geklapper von Bringfriedes Stricknadeln fehlt. Hat man sie in eine Zwangsjacke gesteckt, in eine Gummizelle? Bekommt sie Injektionen in den Oberschenkel, zwingt man ihr mit einer Schnabeltasse aufgelöste Tabletten in den Schlund?
Alle erheben sich. Rabbi Turteltaub singt. Venus kennt inzwischen die Gepflogenheiten, die Abfolge von knien, stehen, sitzen, zuhören, nachsprechen, vor- und nachsingen. Sie mag den Rabbi, der einmal wöchentlich hier gastiert, der weitgehend publikumslos, aber unverdrossen Vorträge über die Kabbala hält, obwohl im Moment nicht ein einziger Jude in der Tempelkirche zum Heiligen Franz lebt.
Sie weiß, an welchem Tag was passiert. Sie kennt die Sanskrittexte der populärsten Hindu-Lieder genauso wie die lateinischen Litaneien und die hebräischen Gesänge. Sie hat gelernt, wann wer Blumenblätter wohin streuen muss, wann sie sich wie oft mit gefalteten Händen um einen Gummibaum zu drehen hat, wann sie mit der Stirn aufs Parkett zu fallen hat und wann sie zwar die Schuhe anbehalten kann, aber ihr Haar bedecken muss. Sie macht das alles mit der traumwandlerischen Sicherheit einer Person, die hier aufgewachsen ist. Wie wir finden, gewinnt sie diesen Riten eine Grazie ab, die neu ist und obendrein überaus erfreulich anzuschauen – oder sollten wir uns selbst in die Venus verliebt haben?
Sie sucht den Raum ab nach Benito. Sie kann ihn nicht sehen. Er wird verschlafen haben, besoffen, wieder war, denkt sie. Sie kann sich eines leichten Ekelgefühls nicht erwehren, als sie sich Benitos Kauleisten an ihrem Ohrläppchen in
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