Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Träumerin in der Sonne erblickte?
Maeve seufzte, als sie das unbeschwerte Kichern ihrer Schwester hörte, eines Kindes, welches sein ganzes Leben noch vor sich hatte – und sich darauf freute.
Ungewollt lenkte sie den Blick von den hohen Felsen auf das Geschehen im Tümpel. Kaum hüfthoch war das Wasser für die nackten Kinder und mittlerweile trüb von ihrem Herumgetobe. Sie waren vielleicht fünf Jahre alt und bereits jetzt von einer Schönheit, die sie vor allen anderen auszeichnete. Ihre Haut wartrotz der Sonne sehr hell, cremig weiß und hob sich leuchtend von ihren roten Haaren ab. Haare, die verwirrt und verfilzt waren, und noch während Maeve darüber nachdachte, hatte sich ihre Schwester schon einen kleinen, anscheinend selbstgeschnitzten Holzkamm vom Ufer geholt und hieß die jüngere Version der Vampirin im flacheren Wasser des Ufers sitzen. Dann begann sie mit geschickten Fingern vorsichtig und mit Hilfe der groben Zinken die eigenen dicken Haare zu entwirren.
»Und gleich bist du dran«, behauptete sie mit der Selbstsicherheit, die vielen älteren Zwillingen zu Eigen war.
»Natürlich.« Selbst durch diese wenigen Worte wurden die Unterschiede zwischen den beiden deutlich. Während Maeve die sanftere von beiden war, war Morna diejenige, die von Anfang an die Führung übernommen hatte. Dominant und trotzdem stets auf Rücksicht gegenüber ihrer Schwester bedacht.
Maeve konnte fühlen, wie sich Tränen der Schuld in ihren Augen sammelten. – Nicht nur im Traum.
Seit wann hatte ihre Schwester gewusst, dass Maeve die Vampirin sein würde, die sie eines Tages tötet? Die Vampirkönigin versuchte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung des Traumes zu richten. Jeder Hinweis konnte wichtig sein und ihr helfen, sich an ihre Kindheit zu erinnern, an den Ort, an dem sie aufgewachsen war.
Sie hob den Kopf, aber ihre Umgebung schien seltsam verschwommen zu sein, nur das, was direkt vor ihren Augen lag – der Tümpel und die beiden Kinder – schienen wirklich zu sein. Ihre Augen begannen zu schmerzen, als sie versuchte, den grauen, massiven Schleier in einiger Entfernung hinter den Bäumen zu fixieren. Erst nach mehrmaligem Blinzeln verwandelte er sich zu Bergwänden. Undefinierbaren Steinwänden, die überall auf der Welt sein konnten und keine Charakteristika aufwiesen, die sie von gewöhnlichen Bergen abhoben. Zumindest nicht, soweit Maeve sehen konnte. Sie blinzelte erneut und die Schmerzen hinter ihren Augen explodierten in ihren Nervenbahnen. Doch bevor die Welt in einem hellen Gleißen verschwand, konnte sie einige dunklere Stellen in den Bergwänden erkennen. Löcher, die auf Wohnungen hindeuten konnten, die in die Felsen geschlagen worden waren.
Vielleicht ein Anfang!
, dachte sie, als sie geistig taumelnd in die Helligkeit stürzte, in der nur noch eine einzige Chance existierte.
Die Rothaarige lag auf dem kalten, weißen Marmorboden der Krypta. Ihre Alabasterhaut war ebenso hell wie der Stein und sie schien trotz ihrer entspanntenMiene abweisend. Sie wirkte wie eine Tote, nur ohne die obligatorische Sargverpackung: auf dem Rücken liegend, ihre Hände wie in einem ewigen Gebet gefaltet und mit einem Gesichtsausdruck, der einen Engel neidisch machen konnte.
Hasdrubal starrte die schlafende Vampirkönigin mit einer Mischung aus Ehrfurcht und heißkalter Wut an. Jedem anderen Vampir hätte er einen geruhsamen Schlaf gegönnt, selbst seinem missratenen Zögling Nemesis, aber die Königin hasste er, seit ihrem Erwachen aus dem Wahnsinn, für ihre Ruhe und die Zufriedenheit, die sie ausstrahlte. Maeve hatte es einfach nicht verdient. Wenn die Welt ein fairer Ort wäre, müsste sie in einer privaten Hölle schmoren, gequält von ihrem schlechten Gewissen. Sie stattdessen schlafend zu sehen, als könne ihr keine Schlechtigkeit etwas anhaben, ließ ihn grollen. Für Sekunden war er versucht, mit wenigen Schritten den Abstand zwischen ihnen zu überbrücken und zu tun, was er sich insgeheim geschworen hatte. Doch es war zu früh.
Er seufzte und versuchte vergeblich, seinen Blick von ihr abzuwenden. Maeves Schönheit traf ihn jedes Mal aufs Neue. Obwohl er die Vampirin schon vor ihrem Wahnsinn gekannt hatte, schienen die Jahrhunderte geistiger Umnachtung sie nur schöner gemacht zu haben. Und auch die Faszination, die er jedes Mal empfand, wenn er in ihrer Nähe war, hatte an Stärke zugenommen.
»Hasdrubal!« Ihre Augen öffneten sich und von einer Sekunde zur anderen war die Königin wach. Der
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