Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
selbstgerechte Zorn des Alten, der sich in ihr festsetzte und unnachgiebig an ihren anderen Emotionen nagte. In seiner Welt gab es nur eins, den Feind. Alles drehte sich um ihn, jedes Gefühl, jeder Gedanke und jede Handlung.
Jolines Blick traf den des Mannes und die Vergangenheit holte sie ein: Gebrochene Augen, Körperteile, abgehackt, abgerissen, zerfetzt, Blut und Dreck, Asche und Feuer, ein stinkendes Kaleidoskop des Todes.
Vampirkriege! Wie zuvor kam das Wissen ungefragt und ohne Vorwarnung. Bilder der Zerstörung, der Vernichtung und des Wahnsinns riefen Übelkeit und Verzweiflung hervor. Der gesamte erste Eindruck, die Szenerie und die Geschichte hatten sich in wenigen Sekundenbruchteilen in Joline manifestiert, bohrten sich in ihre Seele und verdrängten jedes Glücksgefühl in ihr. Joline öffnete den Mund zu einem tonlosen Schrei.
Sie war weit gelaufen, aber nicht weit genug!
1
Der Vampir öffnete die Augen, doch es blieb dunkel. Die Schwärze war überall und für Sekunden fiel ihm jedwede Orientierung schwer. Oben wurde zu unten, während rechts kippte und zu ihm selbst wurde. Farben kristallisierten sich aus der Finsternis heraus, bildeten Formen und kamen näher, bevor sie direkt vor seinen Augen verschwanden und sich wieder in Schwärze verflüchtigten. Die Urdunkelheit, eine Finsternis, die alle Möglichkeiten enthielt. Alles, was gewesen war, war und noch sein würde. Einbildung.
Er setzte sich auf und die Bewegung seiner Muskeln erinnerte ihn daran, dass er einen Körper besaß. Und der fing irgendwo an und hörte auch irgendwo auf. Er konzentrierte sich auf sich selbst, auf den menschlichen Aspekt seiner Existenz und war dankbar, als sein Körper sich ebenfalls erinnerte. Das aktuelle Datum war mit einem Mal ebenso wichtig wie seine Position und das Prickeln seiner Haut. Wie lange hatte er geschlafen?
Er schüttelte den Kopf und versuchte sich zu erinnern, doch sein Geist war zu unruhig. Aufgewühlt von Träumen, die nicht seine waren, Visionen von Lust und animalischen Trieben, von sinnlichen Urinstinkten ebenso wie von panischer Angst – und von der Dunkelheit in seinem Geist.
Zumindest Letzteres war unmöglich. Er war
die
Dunkelheit,
der
Schatten, der einzige, der von allen anderen Schatten – Bodyguards der Vampirkönigin – genährt wurde, alles wusste und konnte und niemals versagte. Die Erinnerung war mit einem Mal wieder da, ungefragt und beinahe gewalttätig bahnte sie sich seinen Weg in seinen Verstand. Die Suche nach dem Elixier! Er hatte sie beinahe vergessen!
Joel hustete, als er sich seinen Weg aus dem Schutt bahnte, in dessen Schutz er den Tag verbracht hatte. Gleichzeitig mit dem letzten Geröll fiel auch die letzte Barriere um seine Wahrnehmung.
Nachdenklich klopfte er sich den Staub aus dem schwarzen Anzug und ließ die eigenen Träume und Visionen ebenso Revue passieren wie die der anderen Vampire. Es war erschreckend ruhig. Wahrscheinlich waren auch die Rebellen von den Nebeneffekten der schwindenden Unsterblichkeit betroffen. Joel schloss die Augen, als er die einzige Information erhielt, die ihn wirklich beunruhigte: Die beiden Ältesten waren frei, die Magie ihrer Verbannung erloschen.
»Ein Problem für später«, beschloss er, als er kurz die Prioritäten ordnete. Durch den Verlust der Unsterblichkeit drohte akute Gefahr, durch Xerxes und Artabanos höchstens eine langfristige. Das war vielleicht der einzig gute Effekt der verblassenden Unsterblichkeit: Durch die Nebenwirkung hatten die beiden Vampire möglicherweise das Interesse an einem neuerlichen Kampf um die Macht verloren.
Schließlich fühlte sich Joel selbst ob des Verlustes und seines eigenen Alters wie zerschlagen. Wenn er sich ein weiteres Mal so tief in der Dunkelheit verlor, würde es für ihn vermutlich kein später mehr geben. Aber auch das war ein Problem, welches er nicht sofort erledigen konnte. In Gedanken wiederholte er die Adressen aller Besitztümer, Häuser, Villen und Wohnungen von Magnus. Und damit potenzielle Versteckmöglichkeiten für das Elixier, welches der intrigante Vampir seiner königlichen Schwester Maeve und der Gemeinschaft der Vampire gestohlen hatte und das eventuell den Schlüssel zur neuerlichen Unsterblichkeit enthielt.
Er konnte nur hoffen, dass Magnus seine Grundstücke nicht gegen Vampire gesichert hatte. Sich auf das nächstgelegene Ziel konzentrierend hätte er beinahe laut gelacht. Ausgerechnet. Der einzige Vampirclub in Bayern gehörte Magnus. Ein Umstand,
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