Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
ihre Schwester und sie – badeten.
Dass sich ihre Träume nun veränderten, oder im Falle ihres alten, wohlbekannten Traumes mehr Informationen preisgaben wie Gespräche und die Umgebung, war ebenso hilfreich wie beängstigend.
Obwohl sie wusste, dass sie in Wahrheit mit Hasdrubal in einer Grabkammer stand – eingeschlafen, noch während er eine Tirade an Fragen und Vorwürfen über sie ergoss –, wusste sie instinktiv, sie konnte nichts an der Handlung ändern, nur stumm zusehen und genießen oder hassen, was sich ihr szenisch anbot. Es war, als habe jemand bei einem Film auf »Play« gedrückt. Von einem Moment auf den anderen war die Handlung da.
Wie von einem Spotlight erhellt, zentrierte sich alles auf die Menge der Vampire, die sich in einem Saal versammelt und um eine bekannte Gestalt einen Kreis gebildet hatten. Die Gesichtsausdrücke der Vampire spiegelten Faszination, Ergebenheit und Begeisterung wider. Doch erst, als der Rädelsführer in der Mitte sich zu der träumenden Maeve umdrehte, erkannte sie ihn: Julius!
Sie sah, wie sich sein Mund bewegte, konnte jedoch nichts hören. Aber er sprach. Zu dieser Erkenntnis gelangt, schaltete ihr Gehirn unerwartet auf laut, so dass sie Julius Worte wahrnehmen konnte. Worte, die sie sprachlos machten. Er sprach von Verrat, von Unsterblichkeit und von Hochmut. Davon, wie wenig Frauen bedeuteten und von einer patriarchalischen Gesellschaftsstruktur, die sich auch in der Vampirherrschaft wieder finden sollte. Von der Versklavung der Menschen und von der Macht über alle Frauen. Er brüstete sich damit, den ersten Schritt bereits getan zu haben. Die erste Frau – die Wichtigste – sei bereits gefallen. Für ihn.
Nie mehr würde sie sich ihm oder seinen Wünschen widersetzen können, nie mehr ihm widerstehen. Entweder würde sie sich fügen oder mit ihm untergehen.
Ein Schauer jagte über Maeves Rücken, während sich ihr Innerstes verkrampfte. Tatsächlich war sie mit ihm untergegangen. Und sie war immer noch dabei unterzugehen. Konnte man so tief sinken, dass man auf der anderen Seite wieder ans Licht kam? Geschockt und unfähig, sich zu rühren, blieb ihr nichts weiter übrig, als zuzuhören. Der dezidierte Plan, mit dem Julius gemeinsam mit seinen rebellischen Freunden ihre Zwillingsschwester, die Hexe Morna, beseitigen wollte, erstaunte Maeve, hätte er doch funktionieren können.
Ohne ihr Zutun bewegte sich ihr Traumkörper und trat aus seinem Versteck auf die Gruppe zu. Und plötzlich wusste Maeve, wer sie war, aus wessen Perspektive sie träumte. Morna. Sie sah alles aus der Perspektive ihrer Schwester.
»Nein!« Sie versuchte, ihren Körper zum Stoppen zu bewegen. Morna dazu zu bringen, nichts zu tun, Julius nicht zu schaden. Doch der Traum hielt nicht an und die Geschehnisse nahmen ihren Lauf.
Nie zuvor hatte Maeve das Knistern der Magie hören können, nie zuvor das Netz ihrer Schwester sehen, welches Farben außerhalb des bekannten Farbspektrums enthielt. Nun lag für Sekunden die gesamte Welt vor ihr. Jedes Lebewesen, jede Magie, jede Möglichkeit. Eine unvorstellbare Macht, die genutzt werden wollte. Verlangend und hinterhältig, jederzeit bereit, sich gegen ihren Träger zu richten. Und welche Qual war es, dagegen anzukämpfen!
Maeves Schrei, der alle Emotionen enthielt, alle Warnungen und alle Verzweiflung, zu der sie fähig war, verhallte ungehört in einem magischen Augenblick, in dem die Welt in der Schwebe hing. Dann explodierte die Magie, traf die rebellischen Vampire und ließ sie verglühen. In einem Moment waren sie voller Enthusiasmus und Euphorie – im nächsten existierten sie nicht mehr.
Nur Julius sah sie an. Voller Verbitterung und Verachtung. Sein Blick enthielt alles, was er vor Schock nicht mehr aussprechen konnte.
»Liebst du meine Schwester?«
Die Sanftheit, mit der Morna ihre Frage stellte – gestellt hatte –, überraschte Maeve. Sie wusste, wie trügerisch diese Sanftheit sein konnte, wie hart die Strafen. Aber sie ahnte, dass dieses Mal mehr dahinter steckte.
Durch Julius schien ein Ruck zu gehen. Ein Begreifen, welches selbstsicher die Überraschung überwand und sich mit den neuen Tatsachen abgefunden hatte.
»Ich begehre sie.«
»Liebst du sie?« Morna wiederholte ihre Frage, trat näher zu Julius und schien etwas in seinem Gesicht zu suchen, was nicht da war. Den Hauch einer liebevollen Emotion. Doch selten hatte Maeve solch einen verbissenen Ausdruck in Julius’ Gesicht gesehen, solch ein
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