Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Blick über die Ausstattung wandern. Jedes Detail betrachtend, wandte er sich schließlich den Möbeln zu. Nichts. Auch bei der zweiten Durchsuchung hatte er keinen Hinweis auf irgendetwas gefunden, das ihm Magnus‘ Versteck verriet – oder das des Elixiers. Und trotzdem … irgendetwas übersah er.
Nach weiteren dreißig Minuten Wohnungsdurchsuchung ging er zurück in Judiths Zimmer. Sie verschwieg ihm etwas. Wenn er doch nur herausfinden könnte was!
Er drehte sich einmal um die eigene Achse, prüfte sämtliche Papiere auf ihrem Schreibtisch und erwischte sich schließlich dabei, die Fotos über Judiths Bett anzustarren. Alle vier Bilder waren vor demselben Wohnheim aufgenommenworden und mussten schon ein wenig älter sein, vielleicht ein Jahr. Judith wirkte jünger und unbeschwerter, trug die Haare schulterlang und zu einem eleganten Bob geschnitten. Es passte nicht zu ihr und …
Joel stutzte und trat näher an die Bilder heran. Nein, es lag nicht am Licht und auch nicht am Alter der Bilder. Auf einem der Bilder hatte Judith einen hellen Leberfleck oberhalb des rechten Mundwinkels, auf den drei anderen nicht. Wären die Fotos nicht alle vor demselben Wohnheim zur selben Jahreszeit aufgenommen worden, hätte Joel an Sommersprossen gedacht oder an Make-up. Jetzt dachte er an Magnus und an Judiths Geheimnis. Es waren wirklich nur Kleinigkeiten. Jemand, der nicht bewusst danach gesucht hätte – und Judith nicht so nahe gekommen war – hätte es niemals erkannt. Da war die winzige Narbe am linken Ohr. Judith hatte eine, die Frau mit dem Leberfleck nicht. Dafür hatte sie rot lackierte Fingernägel.
»Heilige Scheiße!«, fluchte Joel. »Sie hat eine Zwillingsschwester!«
Das machte Judith nicht nur zur Elixierversteckerin, sondern auch zum potenziellen Opfer … vielleicht würde sie sterben müssen, um die Vampire wieder unsterblich zu machen. »Oder sie ist die Rettung.«
Erst jetzt fiel Joel das Schlimmste an dieser neuen Information ein: War er bislang davon ausgegangen, Magnus’ Tochter vor Logan gefunden zu haben, war das Spiel nun erneut im Gange – Magnus’ Tochter irgendwo dort draußen und in Gefahr. Nur Gott allein wusste, was mit der jungen Frau geschehen würde, wenn die Rebellen sie zuerst fanden.
Joel starrte das Foto an, wog seine Gefühle für Judith und sein schlechtes Wissen wegen ihrer Situation gegen die Chancen ihrer Schwester ab, und traf eine Entscheidung.
Schnell, damit er sich nicht noch einmal umentscheiden konnte, ging er zum Telefon und hob ab. Kein Freizeichen. Verdammt! Er schleuderte das Gerät an die Wand und hatte die Wohnung bereits verlassen, als die ersten Einzelteile auf dem Boden aufschlugen.
Endlich! Auf Joels Schellen hin öffnete ein verschlafener Mann die Tür zur Nachbarwohnung und starrte ihn lange genug verwirrt an, um ihn unter Bann zu stellen.
»Wo ist das Telefon?«
Der Mann deutete wie ein Zombie in eine Richtung und Joel hetzte durch die Wohnung. Auch hier erhielt er kein Freizeichen.
»Ich brauche ein Handy.«
Der Mann, der sich noch nicht von der Tür gelöst hatte, und noch immer den Punkt anstarrte, an dem Joel Sekunden vorher gestanden hatte, schlurfte in die Küche und noch bevor er zurückschlurfen konnte, war Joel ihm gefolgt und hatte ihm das Mobiltelefon aus der Hand genommen.
Kein Empfang! Joel ballte seine Hand so fest um das Gerät, dass es zerbarst. Einmal kein Empfang war Zufall, zweimal Pech – aber dreimal war ein Muster. Irgendwie war es den Rebellen gelungen, ihn ins Schach zu setzten. Er konnte Magnus’ Schutz nicht verlassen und niemanden informieren.
»Aber ich weiß, wer es weiß …«, wisperte der Widerhall von Logans Worten in Joels Erinnerung.
»Verdammte …«, er verkniff sich den restlichen Fluch und die Äquivalente in drei weiteren Sprachen, die ihm ebenfalls auf der Zunge lagen und stürmte zurück in Magnus’ Wohnung. Hätte Judith ihm von Anfang an die Wahrheit gesagt, hätten Logan und wer-auch-immer-es-wusste jetzt keinen so großen Vorsprung.
Mit einem Griff riss er die zwei Wurfsterne und Magnus’ Schwert mitsamt Scheide von der Wand und ignorierte den fallenden Wandverputz, der sich durch das unsanfte Entfernen der Haken und Dübel gelöst hatte. Entschlossen verdrängte er den Gedanken an Judith, die Schmerzerinnerung seines Körpers und das nie gekannte Gefühl einer elementaren Angst aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf alles, was ihn ausmachte. Noch immer war er der Beste der Schatten,
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