Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Verneinen.
»Sie liebt dich!« Mornas Stimme klang verzweifelt. Eine unausgesprochene Bitte schwang in ihren Worten mit.
Julius schnaubte herablassend. »Es ist einfach, durch Lust zu kontrollieren, durch Begehren«, erklärte er und obwohl Maeve träumte, konnte sie spüren, wie Tränen auf ihren Wangen – sowohl auf ihren echten als auch auf Mornas Wangen – hinabliefen.
»Glaubst du, Lust und Begehren würden meine Schwester in den Untergang reißen?« Morna gab sich Mühe, herablassend zu klingen, doch Zweifel schlichen sich in ihre Tonlage. Sie wusste, dass Maeve Julius liebte und ihm vermutlich auch einen versuchten Verrat verzeihen würde.
Doch es kam anders:
»Finde es doch heraus!« Julius machte einen unerwarteten Schritt nach vorne, auf Morna – und damit auch auf Maeve – zu. Dabei zog er sein Schwert, das Schwert der Schatten, welches Morna und Maeve ihm verliehen hatten und schleuderte der Hexe alle Emotionen der Lust entgegen, die zwischen ihm und Maeve je aufgekommen und in ihrem magischen Bund gespeichert waren.
Für Bruchteile einer Sekunde schien die Welt still zu stehen. Morna zögerte, erst als Julius sein Schwert hob, traf sie eine Entscheidung.
Ein helles Gleißen umschloss ihre Gestalt, schien nach Julius zu greifen, Maeve hörte einen erschrockenen Schrei voller Qual, als sich Julius sein eigenes Schwert ins Herz stieß und zusammenbrach. Nahezu gleichzeitig ergoss sich Dunkelheit in Maeves Innerstes, es entstand ein Loch in der Realität, das so Schwarz erschien, dass es alle Farben dieser Welt enthielt und beinahe leuchtete. Es fraß an den Rändern der Wirklichkeit und schien zu pulsieren.
Sie hörte den zweiten erschrockenen Schrei, bevor sie begriff, dass es ihrer war. Im Traum, in der Realität und in der Vergangenheit.
Plötzlich war sie mehr eins mit ihrer Zwillingsschwester als jemals zuvor, begriff in diesem Moment, dass ihre Morna in diesem Augenblick verstand. Trotz der räumlichen Distanz zu Maeve hatte Morna den Schrei wahrgenommen – und das volle Ausmaß ihrer Tat erkannt.
Die Angst, die Panik und die Hilflosigkeit der Hexe griffen auf Maeve über. Auf Maeve, die eigentlich in Sicherheit war – schon einmal der Finsternis des Wahnsinns entkommen. Sie drehte sich auf dem Absatz um, als sich der Traum veränderte, doch es war zu spät. Vor ihr pulsierte dasselbe Glühen, wie hinter ihr – rechts und links. Die Finsternis schloss sie ein, zog sie mit einem hellen, magischen Band, welches sich durch den Bund um ihre Seele geschlossen hatte, zu sich. Es sog sie in den Tod, ins Nichts.
Empört schrie sie auf, wand sich in Qualen, des Verlustes, der Verzweiflung und der Verneinung, doch sie konnte nicht entkommen. Der Bund hatte sie imGriff und sein Weg führte in die Vernichtung. In den finsteren Schlund eines schwarzen Nichts, in einen Abgrund, den sie nicht überwinden konnte. Und trotz allem, was sie eben gesehen und gefühlt hatte, rief sie nach Julius, einem Mann, der sie nie geliebt hatte.
21
Das Gebäude sah immer noch genauso aus wie auf Judiths Foto. Immer noch wies das in hässlichen Pastellfarben gehaltene Adressschild darauf hin, dass es sich um ein betreutes Wohnheim handelte. Trotzdem lief Joel ein Schauer über den Rücken. Wer wusste, welch teuflischer Magnus-Plan auf Joel wartete?
Mit betont menschlichen Schritten ging Joel zum Eingang. Dort schob ein gelangweilter Mann in einem vergitterten Häuschen Wache und war – wahrscheinlich in Anbetracht der nicht so geschäftigen Abendstunde – sowohl für die Durchfahrt als auch für die »fußgängerischen« Besucher zuständig.
Erst als Joel neben der Sprechbox anhielt und klingelte, sah der Mann, dessen schwarze Hose einen staubigen Ton hatte, gelangweilt von seiner Zeitung hoch. Bei Joels Anblick verengten sich seine Augen misstrauisch.
»Ja?« Erst nach dieser Frage schien sich der Mann seiner guten Manieren zu entsinnen. »Wie kann ich helfen?«
»Ich suche jemanden.« Joel holte das Foto von Judiths’ Schwester aus seiner Manteltasche und hielt es an die vermutlich kugelsichere Scheibe.
»Warum?«
»Weil ich sie eben suche!« Joels Tonfall reichte, um eine Antwort zu erzwingen, allerdings trug sein mesmerisierender Blick wesentlich dazu bei, dass er sie auch erhielt.
»Dann suchen sie am falschen Ort. Joline ist mit ihrem Vater weg.« Die Stimme des Pförtners klang ein wenig lahm, so, als versuche seine Zunge gegen sein hypnotisiertes Gehirn zu rebellieren.
»Wohin?«
»Weiß ich
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