Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
noch immer konnte er seinen Instinkten vertrauen. Hinter seinen geschlossenen Augenlidern konnte er die lauernden Rebellen ausmachen, vampirhelle Punkte in einer ansonsten schwarzen Finsterwelt. Jede Bewegung eines Vampirs hinterließ einen kurzen leuchtenden Abdruck auf Joels Netzhaut, und erinnerte an das Bild einer Wärmebildkamera. Dreißig Vampire, verteilt um einen ganzen Wohnkomplex, und keiner von ihnen rechnete wirklich damit, dass Joel seinen Schutz verließ – geschweige denn, dass er ein Schwert bei sich tragen würde. Er grinste und zum ersten Mal seit seinem Beinahe-Tod spürte er wieder die euphorische Zuversicht, die ihn jahrhundertelang begleitet hatte. Prüfend wog er das Schwert in der Hand, machte ein paar Probebewegungen und verbarg es schließlich unter seinem schwarzen Mantel.
Von Schatten zu Schatten huschend, verbarg er seine Annäherung an die Grenze von Magnus’ unsichtbarer Schutzmagie bis zum letzten Moment, wobei er die Vampirauren nicht aus dem geistigen Auge ließ. Doch sie behielten ihre Positionen bei, nichts in ihrer Bewegung verriet einen Verdacht. Offenbar hatte selbst der gegnerische Führer – längst glaubte Joel nicht mehr, dass es sich dabei um Nemesis handelte – nicht mit einem Ausfall Joels gerechnet.
Ein Fehler!
In einer Sekunde war Joel der Schatten selbst, jenseits allen Lichtes, im nächsten war er auf der anderen Seite der magischen Abgrenzung und hatte zwei der Wartenden getötet, bevor sich einer der Vampire überhaupt hatte bewegen können. Der dritte wurde eine Sekunde später niedergestreckt, seine Abwehrbewegung zu langsam, um von Bedeutung zu sein. Doch der vierte und fünfteschafften es nicht nur, sich Rücken an Rücken zu stellen und den ersten Versuch abzuwehren, sondern auch die anderen zu alarmieren. Joel drehte sich einmal um seine eigene Achse, und zirkelte mit dem Schwert, bevor er hinter die zweite Angriffsreihe glitt.
Nie zuvor hatte Joel solch eine tiefe Befriedigung bei seinen Attacken und Kämpfen gefühlt, war immer nur mathematisch genau nachvollziehbaren Kampfabläufen gefolgt, hatte sich im richtigen Moment geduckt, sich gedreht und vollstreckt. Doch jetzt hatte er das Bedürfnis, wie ein Irrwisch – ohne Plan und Verstand – anzugreifen, zu metzeln und zu vernichten. Einzig durch sein Alter und seine Konzentration gelang es ihm, kalkuliert weiterzukämpfen.
Die zweite Reihe der Rebellen blockte seinen Angriff und formierte sich neu. Sie umschlossen ihn so, wie er es von seinen elitären Schatten gewohnt war und für eine Sekunde spürte Joel Panik in sich aufsteigen. Sie kannten die Kampfstrategien der starken Kampfeinheit, waren vielleicht trainiert worden oder – Joel konnte eine starke Vampirmacht spüren – waren fremdgesteuert.
So würde er sie nie besiegen können! Nur durch Glück gelang es ihm, einem hinterrücks geführten Schwertstich auszuweichen, trug aber eine Schnittwunde an seinem linken Unterarm davon. Beim Anblick des Blutes erwachte sein innerer Irrwisch endgültig. Mit einem grimmigen Gefühl der Erleichterung gab Joel nach und ließ dem Teil seiner Persönlichkeit, der bei Judith die Kontrolle verloren hatte, ihn dazu brachte, Dinge zu empfinden und zu denken, die er noch vor wenigen Tagen nicht zugelassen hätte, freie Hand mit seinem Körper.
Schon seine erste Finte mit anschließender Attacke überraschte die Gegner völlig und brachte ihre Aufstellung allein durch die machtvolle Wut seines Angriffs ins Wanken.
Er hackte und drehte sich, schnell und von seinen Instinkten gesteuert, genoss die Macht, nutzte seine freie Hand, seine Beine, wirbelte so schnell, dass die Welt verschwamm … und blieb stehen.
Der letzte Rebell sackte vor ihm zu Boden, noch während Joel darum rang, die Schwertspitze als Halt für sein ganzes Sein zu stabilisieren. Bei seinem nächsten Blick war der Vampir verschwunden. Nur das Blut auf der Straße und ein wenig Asche von den älteren Vampiren zeugte von einem Kampf. Sogar seine Kleidung war wie immer salonfähig. Die Feuchtigkeit, die Joel auf ihr spüren konnte, fiel nicht auf; rotes Blut war auf dem alles absorbierenden Schwarz nicht zu sehen. Folglich würde auch niemand etwas bemerken, wenn er den einzigen Anhaltspunkt für den Verbleib der mysteriösen Zwillingsschwester überprüfte.
20
Maeve wusste, dass es ein neuer Traum war, noch bevor die Handlung einsetzte. Seit ihrer Verwandlung in einen Vampir hatte sie stets den Traum geträumt, in dem die beiden Mädchen –
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