Venuskuss
der Bar, in die ich mich nach dem Kino verirrt hatte.
Sein Hemd fällt zu Boden. Er kommt zu mir. Nimmt mich die Arme. Unsere Lippen treffen sich.
Jo – Josef, Johann, Joachim? Kann ich ihn jetzt noch fragen? Hätte das Türschild lesen sollen. Zu spät. Sein Mund wandert über meine Wange, über meinen Hals. Seine Finger ziehen den Reißverschluss meines Sommerkleides nach unten. Das war wohl vorprogrammiert in dem Moment als ich die Bar betrat. Wie Mutter immer sagte: keine anständige Frau geht alleine in ein Nachtlokal. Nur eine, die einen Kerl sucht, der es ihr besorgt.
Jemand stöhnt. Ich? Er streift die Träger des Kleides samt dem BH nach unten. Wann hat er den BH aufgemacht? Seine Hände auf meiner Haut. Sanft. Zärtlich. Viel sanfter als ich erwartet habe. Unsere nackten Körper gleiten übereinander. Meine Augen sind längst geschlossen. Ich will nur mehr fühlen. Nicht denken. Fühlen. Es ist so lange her. So verdammt lange. Sein Rücken bebt unter meinen Händen. Glatte, feuchte Haut, angespannte Muskeln. So gut. So gut. So ...
Nein Mutter, ich bin nicht mehr dein kleines Mädchen, ich bin ...
ICH BIN.
Er lächelt träge im Morgenlicht. Kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln. Waren die gestern auch schon da?
„ Ich mach uns Kaffee, bleib liegen.“
Panik. Dann doch ein klarer Gedanke. „Mein Hund muss raus.“ Ich bin schon aus dem Bett und zieh’ das Kleid über den Kopf.
„ Schade.“
Er steht nicht auf. Sieht mir nur zu, wie ich meinen Slip vom Boden klaube und den BH in die Handtasche stopfe.
„ Mach’s gut.“
„ Du auch.“
Ich haste durchs Vorzimmer, um zu einem Hund zu kommen, den ich nicht habe.
Die Tür fällt ins Schloss.
Hinter mir.
Hinter uns.
Tanzstunde
Tina klemmte den Wischmob unter ihren Arm und stieß die Tür zum Ballettsaal mit einem kräftigen Fußtritt auf. Drinnen ließ sie sämtliche Putzutensilien gemeinsam mit ihrer Sporttasche zu Boden plumpsen und atmete tief durch. Der Stress des langen Arbeitstages fiel von ihr ab, so wie immer, wenn sie den Saal unter dem Dach der städtischen Oper betrat. Sie tauschte ihr Kleid gegen einen Kurzarmbody samt verwaschenen Leggings und schob eine Kassette in den auf dem Boden stehenden Recorder.
Nach einem Warm Up absolvierte sie eine Reihe schneller Pirouetten und ließ sich nach drei Flickflacks in einem Spagat auf den Boden fallen, wo sie für einen Moment atemlos verharrte.
Nur durch Zufall hatte sie erfahren, dass man eine Reinigungskraft für den Ballettsaal suchte und ìhre Chance gewittert: endlich trainieren können, ohne nach drei Schritten an eine Wand zu stoßen und ohne in Tanzkursen Rücksicht auf gänzlich unbegabte Teilnehmer nehmen zu müssen.
So war sie seit drei Monaten offizielle Putzfrau des Ballettsaals plus Nebenräumen - täglich von 17-20 Uhr. Da befand sich kein Mensch mehr in diesem Teil der Oper, das Ensemble trainierte vormittags und hatte abends Vorstellung.
Tina erhob sich in einer fließenden Bewegung und nahm Anlauf zu einem hohen Kicksprung, den sie sich aus einem Kampfsportfilm abgeguckt hatte. Sie wirbelte weiter, ließ die Musik in sich fließen und versank in einer Art Trance. Deshalb überhörte sie das Klicken, mit dem die Musik gestoppt wurde. Als ihr die Stille endlich auffiel, sah sie einen Mann neben dem Kassettenrecorder stehen. Sie stemmte die Hände in die Hüften und marschierte auf ihn zu.
„ Was soll das?“
„ Das wollte ich dich gerade fragen.“ Der Mann hakte die Daumen in den Bund seiner Jeans. „Betriebsfremden Personen ist der Zutritt verboten“, zitierte er das Schild an der Tür.
„ Ich bin nicht betriebsfremd“, erwiderte Tina hoheitsvoll. „Ich bin die Putzfrau.“
Der Mann grinste. „Na klar, und ich bin der neue Solotänzer.“
Tina legte den Kopf schief. „Ach so, eine von diesen herumhopsenden Schwuchteln“, stellte sie dann spöttisch fest. „Hast du dein Tütü hier vergessen?“
„ Nein, meine Schlüssel“, entgegnete er merklich temperierter und das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.
Tina strich eine feuchte Strähne aus der Stirn. Eigentlich sah er ganz nett aus und war etwa in ihrem Alter. Zu schwarzem Haar trug er blaue Augen und einen Zwei-Tage-Bart, also versuchte sie mit einem versöhnlichen Tonfall einzulenken. „Ich bin wirklich die Putzfrau. Tanzen ist mein Hobby und so hab ich die Möglichkeit, einen tollen Trainingsraum zu benutzen. Du wirst mich doch nicht verraten?“, fügte sie alarmiert hinzu.
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