Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
egal. Die hoffen alle, dass sie in deiner Geschichte groß herauskommen. Ich auch.«
Pit grinste noch, als er aus dem Auto stieg. Doch er tat es nicht lange. »Der Herr Rechtsmediziner ist wohl noch nicht da«, sagte er und ging auf den Fundort zu. Nick folgte ihm.
Das, was sie zu sehen bekamen, war schrecklicher als in den anderen Fällen. Vielleicht, weil die Tote höchstens achtzehn war.
»Ein verdammtes Versehen«, sagte Pit leise, »das passt doch nicht ins Konzept. Die ist doch viel zu jung.«
Der Kollege der Bereitschaft kam auf ihn zu. »Die gleichen Würgemale«, sagte er, »der Arzt hat es bestätigt.«
Pit trat nahe heran und sah die Verfärbungen und die kleinen Halbmonde am Hals, und er sah auf eine Stelle, die aussah wie ein Krümelchen Erde. War sein Blick schon so geschärft, dass er es gleich wahrnahm? Es ist größer, dachte er, es ist größer als in den vier anderen Fällen.
Der Totenschau haltende Arzt sah zu ihm auf. Er kannte Pit gut genug, um ihn an die Leiche zu lassen. Pit kniete sich nieder und betrachtete die Tote. Ein kleiner andächtiger Augenblick, den er ihr schuldig war, bevor er mit seiner profanen Arbeit begann. Dann zog er die Lupe hervor.
Nick verstand nicht, was Pit zu dem Arzt sagte. Er hatte angefangen zu fotografieren. Erst einmal die Totale, bevor er dann an die Nahaufnahmen ging.
Er sah, dass der Arzt die Lupe nahm und dann nickte.
Pit stand auf und drehte sich zu Nick um. »Unser Täter hat es nun eiliger mit seinen Mitteilungen an uns«, sagte er, »diesmal sind es gleich drei Buchstaben.«
Vera drückte die Daumen auf die Kehle und kam ins Würgen, kaum, dass sie den Druck um eine Kleinigkeit verstärkte.
»Lass den Quatsch«, sagte Nick. Er klang gereizt.
»Ein fürchterliches Gefühl«, sagte Vera und strich sich über den Hals. Sie hatte die neuen Fotos nicht betrachten wollen. Ihre Phantasie verfügte schon über einen großen Fundus an Schreckensbildern. Vermutlich fing sie darum an, ängstlich zu sein, Gefahr zu wittern. Doch sie war seltsam angezogen worden von dem dünnen toten Mädchen mit den langen blonden Haaren, an dessen Hals drei kleine Tattoos waren, die das bloße Auge nicht erkannte.
»Ist sie so jung, wie sie aussieht?«
»Ein paar Jahre älter«, sagte Nick, »einundzwanzig.«
»Ihr wisst also, wer sie ist.«
»Sie war gerade vermisst gemeldet worden, als sie mit ihr in der Gerichtsmedizin ankamen. Dabei war sie heute Morgen erst seit ein paar Stunden tot.«
Vera griff nach der Lupe, die auf dem Küchentisch neben den Fotografien lag, und beugte sich über das weiße Gesicht, den weißen Hals. Winzige Buchstaben. Ein O. Ein N. Ein D.
Ein beschämendes Gefühl von Erleichterung war in ihr. Hatte sie denn Zweifel gehabt? Leise kleine letzte Zweifel?
»DIE MOND«, sagte sie, »vielleicht hat der Mörder Probleme mit der Grammatik.« Sie glaubte selbst nicht, was sie sagte. Doch die andere Schlussfolgerung war zu schrecklich.
»Vielleicht folgt noch ein langer Satz«, sagte Nick und sprach aus, was Vera nicht hatte denken wollen.
»Gib mir was zu trinken«, sagte sie.
»Gehst du nachher noch singen?«
Vera schüttelte den Kopf. »Geschlossene Gesellschaft heute«, sagte sie, »lauter Herren und ohne Gesang.«
»Die Jahrestagung der Kiezgrößen«, sagte Nick, »und Jef Diem spielt Klavier dazu. Love for Sale wäre nett.«
Vera sah ihn an. »Du kennst Jefs Namen?«, fragte sie.
»Er stand auf dem Zettel, den du Anni dagelassen hast.«
»Du hast dir nichts dabei gedacht?«
»Dass dein Jef die Buchstaben seines Namens nach und nach in vier Leichen ritzt?« Nick lachte auf. Er blickte auf die Fotos, die noch auf dem Tisch lagen, und fand sein Lachen unangebracht. Er schob die Bilder zusammen und legte sie auf den Küchenschrank. »Nein«, sagte er, »du?«
Vera schüttelte den Kopf. »Wer ist das Mädchen?«, fragte sie.
»Eine kleine Cellistin, die aus Georgien gekommen ist, um hier an der Hochschule zu studieren.«
»Und sie wurde gleich vermisst?«
»Von einer Freundin, mit der sie die Wohnung teilte.«
»Sie muss ein braves Kind gewesen sein«, sagte Vera, »nicht mal Anni würde mich nach einer Nacht suchen gehen.«
Sie ging zum Kühlschrank und zog die Tür auf. »Woher hast du deine Informationen?«, fragte sie.
»Von Pit, meinem Freund bei der Kripo. Er und ich fangen an, den Fall persönlich zu nehmen.«
Vera zog eine Flasche Champagner zwischen zwei großen Tupperdosen hervor. »Für einen besonderen Anlass?«,
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