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Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Titel: Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Balkonen war. Er litt an Höhenangst. Ein bloßer Blick vom vierten Stock genügte ihm schon, um den freien Fall zu spüren.
    Darum betrat er seinen Balkon nur im äußersten Notfall.
    Er sann über einen sanfteren Weg nach, gewaltsam in die andere Wohnung einzudringen. Er sann seit Tagen.
    Gestern war die Gelegenheit ganz nah gewesen. Da hatte die alte Hexe von Haushälterin den Schlüssel oben auf den Briefkasten gelegt, als sie den großen Packen Post in den Griff zu kriegen versuchte. Viele Kataloge. Er hatte den des New Yorker Metropolitan Museums oben auf liegen sehen.
    Private Post wurde seiner Nachbarin wohl per Bote gebracht. Er erinnerte sich mit Unbehagen an den jungen Mann, der Sonntagnachmittag oben an der Tür gewesen war.
    Die Alte war in den Aufzug gestiegen, und er hatte sich den Briefkästen genähert und die Hand nach diesem Schlüssel ausgestreckt, als sich die Tür des Aufzuges wieder öffnete. Sie musste seine ausgestreckte Hand gesehen haben.
    Danke, hatte sie gesagt. Aufmerksam von Ihnen.
    Es hatte so freundlich geklungen, als wolle sie ihn töten.
    Was hätte er anderes tun können, als ihr den Schlüssel zu geben? Mit einer Verbeugung, die zu vermeiden kaum in seiner Macht lag. Zu sehr hatte Ola Perak ihm die eingebläut.
    Wenigstens hatte er der Alten nicht die Hand geküsst.
    Philip Perak war unruhig in diesen Tagen. Sehr unruhig.
    Die letzte Inszenierung lag schon länger zurück und war außerdem misslungen, und nun verrannte er sich in ein Projekt, das ihn zu überfordern schien. Dabei war der Gedanke gut gewesen, der ihm bei Bachs Präludium gekommen war. Er beruhte darauf, dass die schöne Vera kaum bereit wäre, einen Schritt in seine Wohnung zu tun.
    Die Ablehnung war zu deutlich geworden, als sie vor seiner Tür stehen blieb, um ihm die Noten von Hindemith mit lang gestrecktem Arm zu überreichen.
    Sie hatte schon damals sehr steif da gestanden, als er ihr den Bösendorfer vorführte. Dabei war das ohne den kleinsten Hintergedanken gewesen. Die körperliche Reaktion seiner Nachbarin auf ihn ließ zu wünschen übrig.
    Um so wichtiger, dass es ihm gelang, sie in ihren eigenen Räumen aufzusuchen. Da, wo sie sich wohlfühlte. Schließlich sollte sie weich werden. Weich zum Biegen.
    Er hatte es gar nicht gerne, wenn Frauen hart waren.
    Erst einmal die alte Hexe von Haushälterin brechen. Die war der Schlüssel zum Ganzen. Schlüssel. Perak lachte auf.
    Doch auf einmal hatte er das Bild des jungen Schönlings vor Augen, der die Messingklappe hochhob und den Brief durch den Schlitz steckte. Die Klappe fiel zurück.
    Philip Perak hörte das Geräusch. Hörte es laut und deutlich in der Erinnerung. Nein. Er war nicht ungeschickt. Hätte seine Mutter ihm das je erlaubt, dann wäre manches Werkzeug in seine Hände gekommen. Doch Handwerk lehnte Ola Perak ab. Sie hatte es für plebejisch gehalten.
    Vielleicht konnte er sich auch da emanzipieren. Er würde ein paar Dinge anschaffen müssen. Er freute sich darauf.
    Ihr Blick glitt über die glitzernden Auslagen des Ladens, ein jedes der Kleidchen geeignet, um aus ihr ein kunstseidenes Mädchen zu machen. Glänzende Fummel mit herzförmigem Ausschnitt und Applikationen aus Strass. Doch sie trafen ihre Vorstellung von Eleganz. Noch hatte sie sich nicht an den kühlen westlichen Geschmack gewöhnt.
    Kleider wie die im Schaufenster waren im Orchester verpönt.
    Die weiblichen Mitglieder trugen schlichtes Schwarz, selten aufgelockert durch einen weißen Kragen. Die Geigerinnen. Die Bassistin. Die Cellistinnen.
    Das Streichorchester der Hochschule.
    Sie wandte sich vom Schaufenster ab und seufzte, als sie die eigene, viel zu schmale Silhouette in der spiegelnden Scheibe sah. An ihr würde der ganze Glanz dort hängen wie an einem Brett. Sie wusste es. Die einzige Rundung, die sie zu bieten hatte, war das Cello, auf dem sie so hoffnungsvoll spielte, dass sie eigens dafür in dieses Land gekommen war.
    Ihr Vater hatte sie nicht gehen lassen wollen.
    Sein kleines Mädchen. Sein Augenstern.
    Die sonntäglichen Telefonate mit ihm waren tränenreich.
    Ein Drama für beide.
    Vielleicht gab es einen schnelleren Weg zur Karriere als den gewählten. Vielleicht verhalf ihr der Zettel, den sie vor Tagen vom schwarzen Brett genommen hatte, dazu, viel früher zu ihrem Vater zurückzukehren. Ruhm und Geld im Koffer, um zu Hause ein Konservatorium einzurichten.
    Sie hätte die Telefonnummer notieren und den Zettel hängen lassen müssen, um anderen die gleiche

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