Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
fragte sie und schwenkte die Flasche leicht. Es würde wunderbar schäumen, wenn erst der Korken gelöst war.
»Leo wollte gestern Abend kommen«, sagte Nick.
»Und warum ist sie nicht?«
»Sie sagte, das ganze Heft sei über den Haufen geworfen worden und müsse neu produziert werden. Vermutlich hat irgendein Paparazzo Kronprinzessin Victoria mit einem Türsteher erwischt.« Nick klang skeptisch. Eine Skepsis, die ohne Zweifel Leo galt und nicht Victoria.
»Dann trinken wir ihn jetzt«, sagte Vera, »der Gute von Aldi.«
»Auf die tote Cellistin?«, fragte Nick. Er fand das Leben im Augenblick einfach nur noch beschissen und seine beste Freundin pietätlos. Doch er holte zwei Gläser hervor, er wusste, dass Vera nicht aufzuhalten war. Sie hatte die Neigung, sich gerade in tragischen Momenten heftig ins Leben zu stürzen.
»War die erste nicht Sängerin?«, frage Vera.
»Sie tingelte mit einer Band und trat auf Schützenfesten auf.«
»Und die zweite?«
»Arbeitete in einer Kneipe. Von der dritten wissen wir nichts, und Annis Nachbarin hat in einem Strumpfladen gejobbt. Ist also nicht erkennbar, dass er es auf die Kunst abgesehen hat, und mit dem heutigen Mord fällt er auch aus einem anderen Muster heraus. Bisher waren alle voll entwickelte Frauen, diese hier ist ein dünnes Mädchen.«
»Voll entwickelt heißt große Brüste?«, fragte Vera. Sie hatte das Stanniolpapier vom Flaschenhals gelöst und versuchte, den Korken langsam kommen zu lassen. Doch er entkam ihr mit einem lauten Knall.
»Klar heißt es das«, sagte Nick. Er ging zum Kühlschrank und holte die Tupperdosen hervor. In der einen waren vier halbe gekochte Kartoffeln. Doch in der anderen Dose fand er die marinierten Hähnchenschenkel, die er für den gestrigen Abend vorbereitet hatte. Sie waren ihm völlig aus dem Gedächtnis gekommen. Er hielt sie Vera hin.
»Leg sie nur in die Pfanne. Ich lasse dich nicht im Stich.«
Nick sah gleich wieder düster aus.
»Ich bin sicher, dass Leo das Heft ändern musste«, sagte Vera. Es wurde Zeit, sich Leo mal vorzuknöpfen.
Sie trank einen Schluck Champagner, ohne auf Nick zu warten. Kein Abend, um groß anzustoßen.
Nick guckte sinnend in das Öl, das er in die gusseiserne Pfanne gegeben hatte. »Das, was sie vereint, sind die verdammten Tätowierungen«, sagte er. »Der Täter muss eine geschickte Hand haben.«
»Und sehr kaltblütig sein«, sagte Vera und dachte an den langen weißen Hals der Cellistin.
»Er setzt Zeichen«, sagte Nick, »ein Exlibris. Als wolle er sie für eine Sammlung kennzeichnen.«
Er wendete die Hähnchenschenkel, die laut zischten in der Pfanne. Alles wirkte ungehörig heute.
»Nein«, sagte Vera, »dann wären es immer die gleichen Buchstaben. Er will uns was mitteilen.«
»DIEMOND«, sagte Nick. Er nahm die Flasche Champagner vom Küchentisch und gab einen Schuss davon in die Pfanne. »Ich habe keinen Wein im Haus«, sagte er, als er Veras Blick bemerkte, »den habe ich gestern Abend ausgesoffen.«
»In deinem Schmerz.«
»In meinem Schmerz.« Nick tat einen Deckel auf die Pfanne.
»Die Mondsonde«, sagte Vera. »Die Mondsichel. Hat gestern der Mond geschienen?«
Nick hob die Schultern. »Hab keinen gesehen«, sagte er, »kannst du mal den Tisch decken?«
»Die Mondnacht«, sagte Vera und nahm zwei Teller aus dem Schrank. »Das muss es sein. Die Mondnacht.«
»Nur noch fünf Morde«, sagte Nick.
»Oder er schreibt es in einem Zug durch.«
»Kennt dein Pianist schon die Zynikerin in dir?«
»Nur die Romantikerin.«
»Liebst du ihn?«, fragte Nick und versuchte, es wie nebenbei klingen zu lassen.
»Ich habe keinen anderen so geliebt. Außer Gustav.«
Vera schnappte sich ihr Glas Champagner und trank es in einem Zug aus. Sie vermied es, Nick dabei anzusehen.
»I find you spinning round in my brain like the bubbles in a glass of champagne.« Vera sang und sah Jef an, der heute Schwierigkeiten zu haben schien mit der Melodieführung von You go to my Head. Sie hatte noch niemals vorher erlebt, dass er sich verspielte.
Er war schon am Nachmittag fahrig gewesen. Fast flüchtig hatte er sie geliebt, um sie dann fest an sich zu pressen und ihr Liebe auf immer und ewig zu schwören.
»You go to my head with a smile that makes my temperature rise«, sang Vera, »like a summer with a thousand Julies, you intoxicate my soul with your eyes.«
All diese Texte schienen Ausschnitte aus ihrem Leben zu sein. Vielleicht gibt es uns gar nicht, dachte Vera. Vielleicht
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