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Verbannt

Verbannt

Titel: Verbannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Cast
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die sie umgebende Landschaft war sie nicht mit Schnee bedeckt. Stattdessen schien ihre glatte, unberührte Oberfläche das ätherische Licht des verblassenden Mondes einzufangen. Die Straße strahlte förmlich. Während wir das Schauspiel betrachteten, erhoben sich geisterhafte Dämpfe von der glitzernden Oberfläche, wie Seelen, die aus schwarzen Gräbern steigen. Sie stiegen auf, waberten in hauchdünnen Schleiern um uns herum, bis der fallende Schnee sie zerriss und sie sich auflösten.
    Mit einem Mal fühlte ich mich unendlich einsam, als wäre ich ausgesetzt worden oder hätte mich verlaufen. Unbewusst tastete ich nach Clints Hand. Wir verschränkten unsere Finger ineinander.
    „Was ist das?“, flüsterte ich ehrfürchtig.
    „Die Seelen der vergessenen Krieger“, antwortete er ohne Zögern.
    „Du meinst, von indianischen Kriegern?“
    Er nickte. „Es gibt Magie und Geheimnisse in diesem Land. Einige von ihnen wurden unter Tränen empfangen.“
    „Woher weißt du das?“
    „Weil sie es mir erzählen.“
    Ich schaute ihn überrascht an, doch er zuckte nur mit den Schultern. Seine Konzentration blieb auf die geisterhaften Vorgänge vor uns gerichtet.
    „Ich habe eine Affinität zur spirituellen Welt.“
    Ich dachte an meinen Ehemann, den Schamanen, und wie fest er mit der geistigen Welt verbunden war. Ein weiterer Punkt auf der langen Liste der Gemeinsamkeiten von Clint und ClanFintan.
    „Da ...“ Er zeigte auf die Straße. „Für heute Nacht sind sie fer-Er hatte recht, die geisterhafte Show war vorbei. Während ich hinsah, bedeckten die ersten Schneeflocken den nun dunklen Asphalt der Straße.
    „Was haben sie gewollt?“ Gemeinsam mit den Geistern war auch meine Melancholie verschwunden und hatte Platz für reine Neugierde gemacht.
    „Sie wollen wahrgenommen werden. Sie wünschen sich, nicht vergessen zu werden.“
    Ich dachte an die Zeremonien, die ich in den letzten sechs Monaten abgehalten hatte. Viele von ihnen zielten darauf ab, die gefallenen Krieger zu ehren. „Ich werde mich an sie erinnern“, sagte ich. „Partholonische Priesterinnen vergessen niemals einen Helden.“
    „Sogar wenn er aus einer anderen Welt stammt?“
    „Ich denke nicht, dass die Welt das Wichtige ist. Ich denke, es ist die Erinnerung.“ Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber während ich sprach, hatte ich das Gefühl, einen goldenen Schimmer durch die uns umgebende Nacht gleiten zu sehen.
    Clint drückte meine Hand. Dann legte er einen Gang ein und bog nach links auf die täuschend normal aussehende Straße ein. Schweigend setzten wir unseren Weg fort. Meine Gedanken kreisten um die Magie Oklahomas und den Mann, der neben mir saß. Ich spürte, wie der warme Abdruck seiner Hand auf meiner Haut langsam abkühlte.
    Ich zog die Nase hoch und merkte, dass meine Wangen nass waren. Mein Gott, diese Hormone ...
    „Im Handschuhfach sind Taschentücher.“
    Clints tiefe Stimme klang so mitfühlend, dass meine Kehle eng wurde.
    „Danke“, sagte ich und schnappte mir die Kleenex-Box, um mich dann ganz undamenhaft laut zu schnauzen.
    „Wo sind wir?“ Das feuchte Taschentuch steckte ich in die Tasche meiner Jogginghose.
    „Dieser Straßenabschnitt hat keinen richtigen Namen. Die Anwohner nennen ihn Nagi Road.“
    „Nagi – das ist ein merkwürdiger Spitzname für eine Landstraße.“
    „Gemäß den Alten, die hier wohnen, bedeutet das Wort,Geister der Toten’.“
    Ich schaute anerkennend auf die sich vor uns ausstreckende Straße. Der Name schien mir angemessen.
    „Die Nagi Road geht irgendwann in die alte State Road 259 über. Wir stoßen später auf den Muskogee Turnpike, der uns direkt nach Broken Arrow bringt, wie du sicher weißt.“
    „Wie lange wird das dauern?“
    „Normalerweise dreieinhalb bis vier Stunden.“ Er schaute zum Himmel auf. „Aber heute wäre ich überrascht, wenn wir weniger als acht brauchen.“
    Ich betrachtete den schnell und gleichmäßig fallenden Schnee. „Wenn wir überhaupt ankommen.“
    „Wir werden es schaffen, Shannon, mein Mädchen“, versicherte er mir.
    Ich seufzte und starrte aus dem Fenster auf die bizarre Landschaft. So weit südöstlich war ich noch nie gewesen, und ich war erstaunt, wie dicht bewachsen und hügelig die Gegend war. Der Schnee machte alles noch viel surrealer. Als die Sonne aufging und dem Morgen einen schwachen Perlmuttglanz schenkte, kam mir in den Sinn, dass Clint und ich in eine fremde Winterwelt versetzt worden waren und uns schon lange nicht

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