Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
auch neu hier?“, wandte ich mich höflich
an Sam.
„Ja.
Nachdem ich in diese Stadt gezogen bin, war ich drei Semester lang an einer
weniger renommierten Schule ganz in der Nähe. Aber dann haben mich meine Lehrer
an die Galilei vermittelt.“
„Und
wie findest du es bis jetzt?“
Sam
zuckte mit den Schultern und begann an dem Etikett seiner Saftflasche
herumzukratzen. Offenbar konnte er die Hände nicht stillhalten, eine
Angewohnheit, die ich von mir selbst kannte und die ihn mir gleich noch ein
wenig sympathischer werden ließ.
„Bis
jetzt habe ich keinen Poltergeist gesehen, und die Lehrer haben auch noch kein
offensichtliches Interesse an meinem Blut gezeigt, aber ich bin sicher, das
wird sich noch ändern.“
„Ist
ein bisschen gruselig hier, was?“, sagte ich und erwiderte sein Lächeln. „Jinxy
und ich haben vorhin den Zorn von Professor Grabowski auf uns gezogen. Bei der
kann ich mir einen unnatürlichen Blutdurst gut vorstellen.“
„Uh,
die hatte ich in der ersten Stunde. In Zukunft werde ich ihr Klassenzimmer wohl
mit einem ‚morituri te salutant‘ betreten.“
Ich
lachte, und Jinxy warf mir einen komischen Seitenblick zu. „Freaks“, murmelte
sie und fuhr damit fort, ihre Schüssel auszulecken.
„Das
war der Gruß der Gladiatoren an den Kaiser und bedeutet ‚die Todgeweihten
grüßen dich‘ “, erklärte ich ihr.
„Außerordentlich
interessant“, gab sie unbeeindruckt zurück. „Wir müssen übrigens schon wieder
los.“
Sam
warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. „Ich habe jetzt Chemie,
und ihr?“
„Mathematik“,
antwortete Jinxy mit einem geradezu diabolischen Funkeln in den hellgrünen
Augen. Ich stöhnte leise auf – nicht nur, dass dieses Fach mein schlechtestes
war, es war auch noch Jinxys bestes. Was bedeutete, dass sie sich in den
Mathestunden immer ganz besonders langweilte.
„Okay,
also dann“, sagte Sam, nachdem wir die Cafeteria gemeinsam verlassen hatten,
und nickte uns zu. „Wir sehen uns sicher bald mal wieder.“
„Ja,
das wäre schön“, brachte ich noch heraus, bevor Jinxy mich unterhakte und
hinter sich her zerrte.
„Jetzt
bleib doch mal cool , Lily“, zischte sie, doch kaum hatten wir unsere
Schließfächer erreicht, verwandelte sich ihr verkniffener Gesichtsausdruck in
ein höchst zufriedenes Grinsen. „Schokolade und reihenweise appetitliche Jungs,
ich weiß gar nicht, was es da zu jammern gibt“, frohlockte sie und kramte dabei
lautstark in ihrem Spind herum. „Und jetzt auch noch Mathematik. Das wird
bestimmt amüsant.“
„Hör
mal, Jinxy, ich bitte dich wirklich inständig –“, begann ich, aber da hatte sie
sich bereits ihre Mappe auf den Kopf gelegt und machte sich, diese erstaunlich
sicher balancierend, auf den Weg zum Klassenzimmer.
Die
ersten zwei Drittel der Unterrichtsstunde vergingen überraschend schnell und
überraschend ereignislos. Professor Humboldt, der gewisse Ähnlichkeiten mit
Jinxys spitzbärtigem neuem Freund aus der Aula aufwies, hatte die Zeit damit verbracht,
uns die Ableitungsregeln für die Differentialrechnung einzubläuen. Erst gegen
Ende machte er sich daran, uns einige Übungsaufgaben zur Anwendung dieser
Regeln zu erklären. Besorgt schielte ich zu Jinxy hinüber, doch diese hatte
brav Heft und Kugelschreiber bereitgelegt und blickte aufmerksam nach vorne.
Ich entspannte mich etwas, bis Professor Humboldt sich zur Tafel drehte – da
stand Jinxy auf.
„Nicht
schon wieder“, stöhnte ich, packte meine Freundin am Saum ihres Affenshirts und
versuchte, sie auf ihren Platz zurückzuziehen. „Nicht an dieser Schule!“
So
sehr ich auch an ihr zerrte, Jinxy rührte sich keinen Millimeter. Kaum hatte
der Lehrer allerdings die Kreide abgesetzt und sich zu uns umgewandt, saß sie
wieder auf ihrem Platz und schrieb eifrig die Angabe in ihr Heft.
„Jinx,
ich warne dich!“, zischte ich möglichst drohend, doch es klang eher wie ein
Flehen.
Inzwischen
hatte ein Mädchen den nächsten Rechenschritt angesagt, und Professor Humboldt
drehte sich abermals zur Tafel. Sofort stand Jinxy wieder stramm. Die ersten
Schüler fingen an zu kichern. Ahnungslos sprach der Professor vor sich hin,
während er schrieb:
„Nun
kommen wir zur zweiten Ableitung. Meine Herrschaften, bitte beachten Sie die
Ableitungsregel. Zweimal x zur dritten Potenz wird demnach zu – Mia …?“
„Sechs
x hoch zwei“, antwortete Jinxy wie aus der Pistole geschossen und ließ sich auf
die Sitzfläche zurückplatschen,
Weitere Kostenlose Bücher