Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
vorkamen, völlig unbekannt waren. Offensichtlich entrüstet
über Jinxys und meine mangelhaften Leistungen zog die Professorin ihre dünnen
Augenbrauen hoch und schrieb etwas in ein Notizbüchlein. Schamrot kehrte ich
auf meinen Platz zurück, während Jinxy sich völlig unbekümmert neben mich
setzte und sofort damit begann, ihren Arm mit einem Kugelschreiber zu
verzieren.
Wenn
man sie so sah, fiel es schwer zu glauben, dass wir beide die Einzigen aus
unserem Jahrgang gewesen waren, die den Wechsel an die Galilei High geschafft
hatten. Ich selbst hatte monatelang darauf hingearbeitet, doch Jinxy war ganz
plötzlich auf die Meinung verfallen, dass sie mich unmöglich alleine lassen
konnte. Mehr oder weniger spontan war sie deshalb zur Aufnahmeprüfung
angetreten – und hatte bestanden. Wenn man von dem Mathematiktest absah (denn
in diesem Fach war meine Freundin zweifellos ein kleines Genie) verdankte sie
das den zahlreichen Spickzetteln in ihrem BH und den auf ihre Oberschenkel
gekritzelten Notizen, die sie unter einem kurzen Rock versteckt hatte. Weil
kein normaler Lehrer jemals auf die Idee kommen würde, solch intime Stellen zu
kontrollieren, hatte dieses System Jinxy bereits durch zehn Schuljahre
gebracht, ohne dass sie viel Zeit mit Lernen vergeudet hätte. Und nachdem sie
in den beiden auf Latein folgenden Kursen die Kriegsbemalung auf ihren Armen
zur Perfektion gebracht hatte, war ich mir sicher, dass sie auch in Zukunft mit
ausgestopften BH-Körbchen zu den Prüfungen erscheinen würde.
Fünfundvierzig
Minuten freie – und dank Jinxy ungenutzte – Studienzeit musste ich noch über
mich ergehen lassen, dann konnten wir die furchteinflößend dicken Schulbücher
endlich in unseren Schließfächern verstauen und uns auf den Weg zur Cafeteria
machen.
Ich
hatte ein Glas mit Wasser aus dem Trinkbrunnen gefüllt und balancierte es
soeben auf meinem Tablett in Richtung Essensausgabe, als ich den Jungen in
Schwarz sein schmutziges Geschirr abliefern und auf den Ausgang zustreben sah.
Jinxy, die gerade den Menüplan studierte, schien es nicht zu bemerken – sie
wirkte selten so konzentriert, wenn sie irgendetwas anderes las.
„Oh,
heute ist ein herrlicher Tag“, verkündete sie nun und strahlte mich an. „Mousse
au chocolat zum Nachtisch! Und du hast gemeint, es würde mir an dieser Schule
nicht gefallen.“
Das
Tablett wie einen Rammbock vor ihre Brust haltend, huschte sie wieselflink auf
die Schlange hungriger Schüler zu. Bei dem Versuch, ihr zu folgen, verschüttete
ich selbstverständlich das Wasser und kehrte missmutig zum Trinkbrunnen zurück.
Als ich mit einiger Verspätung bei der Essensausgabe anlangte, hob die Frau
hinter der Theke entschuldigend die Hände.
„Tut
mir leid, Schätzchen, das Schokomousse ist schon alle.“
„Warum
überrascht mich das jetzt nicht?“, murmelte ich und nahm stattdessen ein
vertrocknet aussehendes Stück Kuchen entgegen.
Jinxy
wartete bereits ungeduldig auf mich. „Und, an welchen Tisch wollen wir uns
setzen? Wo ist der knuffigste …“, ihr Blick blieb an einem Jungen hängen, der
alleine an einem Vierertisch in unserer Nähe saß und gerade mit einem Stück des
verdorrten Kuchens beschäftigt war: Er hatte es in mehrere kleine Würfel
geschnitten und baute daraus auf seinem Teller einen Turm. Jinxy sah ihm eine
Weile fasziniert dabei zu, dann räusperte sie sich überdeutlich.
„Mit
dem Essen spielt man nicht“, erklärte sie streng. Der Junge hob den Kopf und
schüttelte sich eine blonde Haarsträhne aus den blauen Augen.
„Wirklich?“,
fragte er trocken. „Was soll ich denn sonst damit tun?“ Dann spähte er an
meiner Freundin vorbei, entdeckte mich und mein Tablett und schenkte mir ein
mitleidiges Lächeln.
„Na,
hat dich auch der Fluch des Uralt-Kuchens getroffen?“ Er machte eine einladende
Bewegung in Richtung der freien Stühle an seinem Tisch, und Jinxys piksender
Zeigefinger in meinem Rücken zwang mich dazu, das Angebot anzunehmen.
„Hallo,
ich bin Sam“, stellte er sich vor und brachte den Kuchenturm zum Einsturz.
„Gemessen an der Höhe des Schulgeldes hätte ich hier eigentlich eine etwas
ansprechendere Kost erwartet.“
„Ich
bin Mia – aber nenn mich Jinxy. Das ist Lily“, antwortete meine Freundin
eifrig, „und das“, sie deutete auf ihre halbgeleerte Dessertschale, „ist
absolut köstlich.“
Ich
versuchte ihr unter dem Tisch einen kleinen Tritt zu verpassen, aber mein Fuß
fischte ins Leere. „Dann bist du also
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