Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
fest, dass die Kälte aus
seinen Augen verschwunden war. „Aber nein. Wirklich ärgerlich wäre es nur
gewesen, wenn ich das Armband tatsächlich verloren hätte. Wenn man etwas so gut
wie immer bei sich hat, bemerkt man zuerst nicht, dass es weg ist, doch sobald
es mir aufgefallen wäre, hätte ich den Verlust ziemlich bedauert.“
Mein
Herzschlag beschleunigte sich, was nicht nur daran lag, dass Rasmus so lange
Schritte machte. „Du trägst es jetzt schon … seit zwei Jahren, nicht wahr?“
Er
schien mir die Frage nicht übel zu nehmen, aber sein Lächeln wirkte trotzdem
ein wenig bitter. „Gut kombiniert, Columbo.“
Das
Armband war also tatsächlich ein Geschenk von seiner Verflossenen gewesen. Ich
grub die Schneidezähne in meine Unterlippe, um die nächste Frage daran zu
hindern, aus meinem Mund zu schlüpfen, doch wie immer blieb das ohne Erfolg.
„Siehst du sie noch manchmal? Deine Exfreundin, meine ich?“
„Nein“,
antwortete er, und die Wehmut, von der dieses kleine Wörtchen erfüllt war,
versetzte mir tief im Innern einen Stich. Um mir das auf keinen Fall anmerken
zu lassen, hakte ich im Plauderton nach:
„Warum
denn nicht? Auch wenn es zwischen euch beiden aus ist, könntest du sie doch ab
und zu während der Ferien in deiner früheren Heimatstadt besuchen. Mit ihr
befreundet sein.“
„So
wie mit dir, meinst du?“, fragte er zurück, und ich kam zu dem Schluss, dass
ich mir den Spott in seiner Stimme nur eingebildet hatte.
„Ja,
wieso nicht?“
„Bitte
versteh das jetzt nicht falsch, Lily. Aber ehrlich gesagt kann ich nicht mit
dir darüber reden.“
Schnell
senkte ich den Blick auf den nassen Gehsteig vor meinen Füßen. „Wie du meinst.“
Ganz
plötzlich trat er mir in den Weg, beugte sich zu mir herunter und legte den
Kopf schief, um mir in die Augen sehen zu können. „Also ärgerst du dich
jetzt über mich?“ Dass ehrliches Bedauern in seiner Stimme mitschwang, brachte
mich ziemlich aus dem Konzept.
„Nicht
wirklich. Ich bin nicht verärgert, überhaupt nicht eigentlich.“
„So
viele Worte für ein nein?“
„Ganz
recht.“
Ich
wollte gerade schnurstracks zur Bushaltestelle zurücklaufen (und unterdrückte
einen Fluch, weil die zugestöpselte Schülerin verschwunden und der letzte Bus
also ohne mich abgefahren war), als Rasmus nach mir griff und gerade noch meine
Hand zu fassen bekam. Augenblicklich blieb ich wie angewurzelt stehen. Seine
Hand war trotz des miesen Wetters warm und ein ganz klein wenig rau, während
sich meine wahrscheinlich so anfühlte wie eine eisige Fischflosse.
„Ich
fahr dich nach Hause. Du siehst aus wie ein halb ertrunkenes Kätzchen.“
Wie
schmeichelhaft. „Nein, ist schon okay“, antwortete ich ausweichend. Dabei
fragte ich mich, was wohl blöder wirken mochte: ihm meine Hand zu entziehen
oder zuzulassen, dass er sie weiterhin festhielt.
„Komm
schon, Lily“, drängte Rasmus und lotste mich auch schon in Richtung
Schulparkplatz. „Ich werde im Auto auch nicht singen, versprochen.“
Die
angespannte Atmosphäre zwischen uns schien verflogen zu sein, also ließ ich es
zu, dass er mich zu seinem Wagen führte. Als er mir jedoch wie gewohnt die
hintere Autotür aufhielt, ignorierte ich das geflissentlich und kletterte
stattdessen auf den Beifahrersitz, nachdem ich meine Tasche über die
hervorstehende Sprungfeder gelegt hatte. Es mochte meinen Büchern vielleicht
nicht gerade guttun, dass ich auf ihnen Platz nahm, aber meine Zeit auf der
Rückbank sollte jetzt endgültig vorbei sein.
Erst
nach einigen Minuten Fahrt fiel mir plötzlich etwas ein, das mit einem Schlag
mein Misstrauen wieder neu entfachte. „Was hattest du eigentlich um diese Zeit
vor der Schule zu suchen? Hast du mir etwa aufgelauert?“
„Hört
sich ja an, als wäre ich ein furchteinflößender Strauchdieb“, erwiderte Rasmus
nachdenklich. „Ich glaube, das gefällt mir.“
„Beantworte
meine Frage.“
„Oha,
und wer ist jetzt furchteinflößend? Aber wenn du es unbedingt wissen willst –
ja, es wäre durchaus möglich, dass ich nach Unterrichtsschluss ein wenig die
Zeit totgeschlagen habe, um dir höchst zufällig vor der Schule zu begegnen.“
„Und
warum?“
„Ich
wollte mich verabschieden.“
Mein
Herz schien zu stolpern und dann doppelt so schnell weiterzuschlagen, um dieses
Missgeschick auszugleichen. „Du gehst weg?“ Ich brachte kaum mehr als ein
Flüstern hervor.
„Jawohl.
Glaub mir, diese Entscheidung wurde nicht leichtfertig getroffen,
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