Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
hatten. Knapp unterhalb seiner Schläfe
zuckte es einmal.
„Tut
mir leid“, murmelte ich ausweichend, und meine Hand verkrampfte sich um das
Telefon.
„Dann
sag mir doch, was wirklich los ist.“
„Das
willst du gar nicht wissen“, rutschte es mir gegen meinen Willen heraus.
Seine
Stimme war ruhig, aber jedes einzelne Wort schien vor unterdrückter Anspannung
zu vibrieren, als er erwiderte: „Lass es darauf ankommen.“
Mechanisch
lösten sich meine Finger von dem Handy und schoben sich tiefer in meine
Jackentasche. Die Metallplakette, die in der Nacht zuvor im Mondlicht gefunkelt
hatte, wirkte nun seltsam matt, als ich ihm das Armband auf meiner Handfläche
entgegenhielt.
Ich
glaubte fast sehen zu können, wie es hinter Rasmus‘ Stirn fieberhaft zu
arbeiten begann. „Wo hast du das her?“, fragte er schließlich gedehnt. Während
ihm seine lockere Haltung einen Anschein von Gelassenheit verlieh, schlich sich
eine ungewohnte Kälte in seine Augen.
„Ich
habe gestern Nacht Geräusche in der Küche gehört. Als ich nachsehen gegangen
bin, habe ich dein Armband auf dem Fußboden gefunden.“ Ich merkte sofort, dass
sich die Geschichte auf diese Weise so harmlos anhörte, dass sie fast nicht
mehr der Realität entsprach; aber irgendwie war es mir unmöglich, unter Rasmus‘
eindringlichem Blick das Wort Einbrecher zu benutzen. Unwillkürlich
machte ich einige Schritte rückwärts, nachdem ich meine Erklärung beendet
hatte: Ich wusste nicht, mit welcher Reaktion ich rechnen sollte – würde Rasmus
wütend werden, alles abstreiten oder in schallendes Gelächter ausbrechen, weil
sein Streich funktioniert hatte? – aber auf jeden Fall hielt ich es für klug,
für etwas Abstand zwischen uns beiden zu sorgen.
Rasmus
nahm mir das Armband ab und befestigte es mit einer fast nachlässigen Bewegung
an seinem linken Handgelenk. „Danke“, sagte er knapp, „ich habe es wohl liegen
gelassen, als wir vorgestern gemeinsam Geschirr gespült haben.“
Er
schien auf eine Antwort von mir zu warten, aber ich brachte keinen Ton heraus.
Fassungslos starrte ich ihn an – fassungslos über meine eigene Dummheit. Als ob
sich ein Schleier vor meinen Augen gehoben hätte, sah ich mit einem Mal alles
klar:
Der
Wind hatte das halb geöffnete Küchenfenster lautstark aufgedrückt, was ich als
die Geräusche interpretiert hatte, die jemand beim unerlaubten Eindringen in
ein Haus verursachte; durch den Luftzug war dann vermutlich auch das Armband
vom Rand der Spüle geweht worden. Die nächste Sturmbö hatte schließlich den
Fensterladen gegen den Messerblock geworfen, der umgekippt war und dabei einen
dumpfen Schlag erzeugt hatte. Und alles andere, das Kramen in den Schubladen
und die Schritte, war schlicht und ergreifend ein Produkt meiner Fantasie
gewesen – wie oft hatte ich mir abends im Bett schon eingebildet, dass das
Knarren der alten Dielen von einer Person hervorgerufen wurde, die durch unser
Haus schlich? Und wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass Rasmus ohne
Leiter bis zum Küchenfenster hinaufgeklettert war, obwohl die Küche im ersten
Stock lag und der Garten darunter auch noch in einer Böschung abfiel?
„Du
hast gemeint, du legst das Band nur beim Sport ab“, sagte ich schließlich
schwach.
„Und
beim Geschirrspülen. Oder beim Duschen. Wünschst du eine genaue Auflistung?“
Wieder
herrschte einen Moment lang Stille von der allerpeinlichsten Sorte. Ich bohrte
die Fäuste in meine Jackentaschen und scharrte mit den Füßen, wie ein kleines
Kind, das beim Lügen ertappt worden war. Niemals hätte ich gedacht, dass
ausgerechnet ich, die Streberin mit der schrägen Freundin, jemanden
bereitwillig als Verbrecher abstempeln würde, bloß weil es mir nicht gelang,
ihn in eine der wohlbekannten Kategorien einzuordnen.
„Bitte
entschuldige“, sagte ich schließlich kleinlaut. „Ich habe geglaubt, du hättest
dir so etwas wie einen nächtlichen Spaß erlaubt.“
„Und
deswegen rennst du vor mir davon? Dann lass uns an dieser Stelle festhalten:
Meine Vorstellung von einem nächtlichen Spaß sieht ganz anders aus.“
Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen machte er sich auf den Weg zurück
in Richtung Schule, sodass mir nichts anderes übrigblieb, als neben ihm
herzustolpern. Sein Schweigen machte mich fast wahnsinnig, und nach einer Weile
hielt ich es nicht mehr aus. „Ärgerst du dich jetzt über mich?“, fragte ich
zaghaft.
Endlich
sah Rasmus zu mir herüber, und ich stellte erleichtert
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