Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
verlieren. Er machte einen Schritt auf mich zu, und als er
schließlich auf meine Frage antwortete, klang seine mühsam beherrschte Stimme
gepresst. „Meine Exfreundin, für die du dich ja so brennend zu
interessieren scheinst … dieses Mädchen ist tot, okay? Tot und begraben!
Du wirst also verstehen, dass ich nicht so leichtfertig antworten kann, wenn du
mich fragst, ob ich jetzt gerne bei ihr wäre.“
Für
einige Sekunden herrschte eisige Stille.
„Ach
so“, murmelte ich dann betreten, „entschuldige … aber das habe ich doch nicht
gewusst.“
„Tja,
Lily, das scheint auch dein größtes Problem zu sein: der Glaube an deine eigene
Allwissenheit.“
Auf
einen Schlag kehrte mein Zorn zurück. „Es ist ja wohl nicht meine Schuld, wenn
ich irgendwelche Mutmaßungen über dich anstellen muss“, fauchte ich ihn an. „Du
umgibst dich doch immer mit dieser mysteriösen Aura, und du erzählst mir nichts ,
absolut nichts von dir!“
„Schon
mal auf die Idee gekommen, dass dich vieles einfach einen Dreck angeht?“
Ich
taumelte zurück, als hätte er mir eine Ohrfeige verpasst. Dann schaute ich ihm
ins Gesicht, um zu sehen, ob ihm seine Worte leidtaten, doch ich fand darin
nichts als kalte Wut.
„Ich
sage dir das jetzt nur einmal und hoffe, dass du es im Gedächtnis behältst“,
sprach er leise weiter, und als ich die Drohung wahrnahm, die in diesem Satz
mitschwang, merkte ich, dass ich tatsächlich Angst vor ihm hatte. „Misch dich
gefälligst nie wiederin meine Angelegenheiten ein, hast du das
verstanden?“
Der
Flur verschwamm vor meinen Augen, während ich herumwirbelte und davonlief.
Jinxy
wartete vor dem Klassenzimmer von Professor Grabowski, und als sie sah, wie ich
halbblind auf sie zutaumelte, schnappte sie erschrocken nach Luft. „Oh Mann,
Lily“, rief sie aus und stürmte mir entgegen. Ich beobachtete, wie sie mich an
der Hand nahm, und stellte verwirrt fest, dass ich es nicht fühlen konnte, so
als ob mein Körper auf einmal nicht mehr zu mir gehören würde. „Was ist
passiert, du bist ja kreidebleich im Gesicht!“
„Es
ist bloß … wegen Rasmus“, flüsterte ich.
In
den Augen meiner Freundin blitzte es auf. „Hat er dir was getan? Ich schwöre
dir, den mach ich fertig, den Wicht! Er mag vielleicht groß sein – und
muskulös, aber ich bin schnell und schlau …“
„Nein,
er hat mir nichts getan. Wir werden nur nicht mehr gemeinsam auf den Ball gehen,
das ist alles.“
Jinxy
ließ ihre kleinen Fäuste sinken. „Oh Mann, Lily“, wiederholte sie mitleidig und
sah mich traurig an. „Alles soweit in Ordnung mit dir?“
„Aber
ja, mir geht es gut, eigentlich geht es mir sogar ausgezeichnet!“
„Ach
wirklich.“
„Absolut!“
„Und
warum weinst du dann?“
„Das
– ist eine Allergie!“, schluchzte ich und wischte mir die Nase an meinem Ärmel
ab. „Und zwar gegen diesen Idioten Rasmus! Ich bin so froh, ihn endlich los zu
sein, wirklich ganz“, ich wurde durch einen Schluckauf unterbrochen, „ganz
außergewöhnlich glücklich!“
9.
Kapitel
Endlich
hatten wir im Biologieunterricht den großen Themenkomplex über Haut, Blut,
Muskulatur und Skelett des Menschen abgeschlossen. Professor Osorio schien uns
für unsere harte Arbeit belohnen zu wollen, indem er uns mit vermischten
Informationen überschüttete, die er offenbar für amüsant hielt. Ich bemühte
mich krampfhaft, nicht an den Tag zu denken, an dem wir mit diesem Stoffgebiet
begonnen hatten – der Tag meines missglückten ersten Dates mit Rasmus. Dieser
Versuch nahm mich so in Anspruch, dass ich mir nur mechanisch Notizen machte,
ohne wirklich viel vom Unterricht mitzubekommen. Auch nach dem Ertönen der
Schulglocke blieb ich tief in Gedanken versunken und hörte nur mit halbem Ohr
zu, wie Sam das tat, was Jinxy immer liebevoll „vor sich hin blubbern“ nannte:
Ohne eine Antwort zu erwarten, plauderte er über alles, was ihm gerade in den
Sinn kam, um die Stille zwischen uns zu füllen. Auf einmal wurde mir klar, dass
er diese Fähigkeit im Laufe der Woche zur Perfektion gebracht hatte, denn nach
meinem Streit mit Rasmus war ich ungefähr so kommunikativ gewesen wie ein Stück
Holz. Ich betrachtete Sams Profil, während er neben mir her in Richtung
Schließfächer schlenderte, und wurde von einer Woge aus Mitleid und Zuneigung
für ihn überrollt.
„Ich
weiß wirklich nicht, warum Professor Osorio das als Fun Facts bezeichnet … Ich
meine, die Tatsache, dass man während seines Lebens bis
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