Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
festgestellt, dass Jungs in
Anzügen ziemlich albern aussehen konnten, wenn der Stoff an bestimmten Stellen
zu eng saß oder nicht ganz ausgefüllt wurde … doch Sam stand sein grauer
Dreiteiler perfekt. Seine Locken hatte er offenbar mithilfe von Wasser zu
bändigen versucht, aber sie begannen bereits zu trocknen und sich wieder aufzurollen.
Zusammen mit seinem schiefen Grinsen sah das so niedlich aus, dass ich an mich
halten musste, um ihm nicht durchs Haar zu wuscheln.
„Du
siehst …“, begannen wir gleichzeitig und flüchteten uns in verlegenes Lachen.
„Tut
mir leid“, sagte Sam, „in den Filmen sind es immer die Männer, die zuerst so
einen Spruch ablassen.“
„Wir
können das auch überspringen“, meinte ich und hakte mich bei ihm ein. Mit
offensichtlicher Erleichterung führte Sam mich zu seinem Wagen und hielt mir
die Türe auf, bis ich mich und die paar Meter Seidensamt auf den Beifahrersitz
gehievt hatte. Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass Sam dieselbe beiläufige
Höflichkeit an den Tag legte wie Rasmus … doch dann verbannte ich diesen
Gedanken ganz schnell wieder aus meinem Kopf.
Nach
zwanzigminütiger Fahrt hatten wir das Palais erreicht, in dem der Ball
stattfinden sollte (ja, richtig, die Turnhalle war für einen solchen Anlass
natürlich nicht angemessen). Es präsentierte sich als prunkvolles Gebäude im
Barockstil, vor dem bereits zahlreiche Schüler in mehr oder weniger
abenteuerlichen Kostümen versammelt waren. Jinxy und ihren Begleiter entdeckte
ich allerdings trotz des Trubels sofort, nachdem ich aus dem Auto gestiegen
war: Die beiden erweckten den Eindruck, als hätten sie auf dem Dachboden
sämtliche Modesünden ihrer Eltern und Großeltern ausgegraben und dann die
schrillsten Teile davon angezogen. Netzstrümpfe, eine Federboa und
ellbogenlangen Handschuhe waren nur Jinxys harmloseste Accessoires; obwohl wir
uns bei unserer Recherche in der Bibliothek gegen ein Engelskostüm entschieden
hatten, kombinierte sie ihr kurzes Schottenkaro-Kleid mit rauschgoldverzierten
Flügeln, die aufgeregt flatterten, als sie auf Sam und mich zugestürzt kam.
Ihren nicht minder aufsehenerregenden Begleiter schleifte sie hinter sich her.
„Wir
hatten uns richtig tolle Kostüme reserviert“, jammerte meine Freundin statt
einer Begrüßung und brachte dabei die glitzernden Schnurrhaare zum Vibrieren,
die sie über ihren Mundwinkeln befestigt hatte. „Aber dann haben wir vergessen,
sie rechtzeitig abzuholen.“
„Zumindest
seid ihr einzigartig“, sagte Sam höflich. Er wies auf die unzähligen Vampire,
an denen wir auf dem Weg zum Eingangstor vorbeikamen. „Hey, wie geht’s“, fügte
er dann hinzu und streckte Jinxys Begleiter die Hand hin, ohne sich von dessen
bodenlangem schwarzen Cape irritieren zu lassen. Der Junge nahm Sams Hand, doch
anstatt sie zu schütteln, drehte er sie, strich einmal über die Handfläche und
bemerkte anerkennend: „Interessante Aura, Mann.“
„Ist
der nicht cool?“, flüsterte Jinxy mir zu und wollte sich schon durch den
Eingang quetschen, als sie vom Türsteher aufgehalten wurde. Der Mann musterte
sie und den Cape-Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen. „Keine Abendgarderobe,
kein Kostüm“, stellte er schließlich fest und versperrte uns mit seinem
massigen Körper den Weg.
Meine
Freundin schnappte empört nach Luft. „ Kein Kostüm? “, wiederholte sie
ungläubig. „Wissen Sie, wie früh wir diese beiden Outfits reservieren mussten?
Glauben Sie nicht, dass noch ein Haufen anderer Leute gern als magische
Trullala und als bitterböser …“ – „Gnarf“, fiel ihr Begleiter ein – „… gegangen
wären?“, fuhr Jinxy fort. „Ehrlich mal, lesen Sie denn keine Fantasyromane?!“
„Offenbar
nicht“, antwortete der Mann säuerlich. „Na meinetwegen.“
Wir
betraten den Eingangsbereich und gingen auf die breite Haupttreppe zu, die von
Kronleuchtern in ein warmes Licht getaucht wurde. Das aufgeregte Schnattern der
anderen Gäste erzeugte in diesem hohen Raum ein lautes Echo, aber die Schritte
wurden durch den dunkelroten Läufer gedämpft, der den marmornen Boden bedeckte.
Staunend betrachtete ich die gewaltigen Atlasstatuen, die sich links und rechts
am Fuß der Treppe befanden, und fasste nach Jinxys Hand. „Nun schau dir doch
mal dieses Vestibül an!“
„Wo?“,
fragte meine Freundin interessiert und drehte sich nach den Jungen um, die
hinter uns die Treppe heraufkamen.
„Ich
meine die Eingangshalle!“
„Ach
so. Na, wenn man
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