Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
Lily gehabt haben musste. Es
entsprach nicht seiner Art, sich vorschnell in Sicherheit zu wiegen … doch wenn
er Glück hatte, war es nun endlich ausgestanden.
„Er
hätte von der Schule fliegen können! Es ist wirklich ein Wunder, dass Eric
darauf verzichtet hat, Anzeige gegen ihn zu erstatten!“ Nachdem ich mich das
ganze Wochenende lang gefragt hatte, ob ich Rasmus überhaupt noch einmal
wiedersehen würde, war zumindest diese eine Sorge zerstreut worden: Mir war
aufgefallen, dass das kraushaarige Mädchen, mit dem sich Eric auf der Party
unterhalten hatte, denselben Schulweg hatte wie Jinxy und ich, und sie hatte
uns bereitwillig von Erics unendlicher Güte berichtet.
„Mich
wundert das eigentlich nicht“, erwiderte Jinxy, stemmte ihre Füße gegen den
Vordersitz und begann mit dem Zeigefinger Schlangenlinien auf die beschlagene
Schreibe des Busses zu malen. „Wenn man Eric nach dem Grund für die Prügelei
gefragt hätte, wäre ja vielleicht der Eindruck entstanden, dass er sich Rasmus
unsittlich genähert hat. Und das kann seinem Coolness-Faktor wohl kaum
zuträglich sein.“
Ich
verzog das Gesicht, unfähig über diese Vorstellung zu lachen; doch Jinxy fuhr
bereits mit ernsterer Stimme fort: „Und obwohl es natürlich gut ist, dass
Rasmus an der Galilei High bleiben kann, weiß ich nicht, ob ich mich wirklich
darüber freue. Ich meine, es hat ihm doch ganz offensichtlich leidgetan, dass
er mich nicht einfach vor dieses Auto hat rennen lassen.“
Schon
öffnete ich den Mund, um zu protestieren, doch dann schwieg ich lieber. Ich
hätte es niemals laut ausgesprochen, aber mir war dieser Gedanke ebenfalls
bereits gekommen; und möglicherweise war es Rasmus‘ seltsame Wut nach Jinxys
Beinahe-Unfall gewesen, die ihn überhaupt zu der anschließenden Prügelei
getrieben hatte.
„Ich
weiß ja auch nicht, was ich davon halten soll“, gab ich schließlich zu und hob
hilflos die Schultern. „Das alles scheint überhaupt nicht zu dem Bild zu
passen, das ich von Rasmus habe.“
„Kann
ich mir vorstellen. Schlägertypen sind ziemlich peinlich.“ Jinxy überlegte
einen Moment und fügte dann gedehnt hinzu: „Oder findest du das … männlich ?“
„Blödsinn“,
murmelte ich. Mir war sehr wohl bewusst, dass es Mädchen gab, die es gern
sahen, wenn sich muskelbepackte Kerle wie Höhlenmenschen aufführten,
vorzugsweise ihretwegen; aber ich hatte beim Anblick von sich schubsenden und
dann am Boden wälzenden Jungen schon immer an streitsüchtige Ziegenböcke denken
müssen. Niemals hätte ich Rasmus für so einen Hitzkopf gehalten, der schon nach
ein paar Spötteleien blindwütig auf jemand anderen losstürzte – nur, dass es
gar nicht so abgelaufen war, wie ich mir jetzt in Erinnerung rief. Was mich
mehr als alles andere erschreckt hatte, war die Tatsache, dass sich Rasmus
durch Erics Sticheleien kaum aus der Ruhe hatte bringen lassen: Offenbar hatte
er gar nicht im Affekt gehandelt, sondern durch und durch berechnend.
„Vielleicht
ist er ja ein Vampir?“, schlug meine Freundin nun vor. „Ein Mädchen kommt neu
an eine Schule und ein düsterer Kerl mit erstaunlichen Kräften und einem
unnatürlichen Appetit auf Blut verguckt sich in sie – so was soll ja
vorkommen.“
„Jinxy“,
mahnte ich, „sei doch mal für einen Augenblick ernst.“
„Na
schön“, antwortete sie zögernd und fingerte an dem Plastikfrosch herum, der an
einer Kette um ihren Hals hing. Zu meiner Überraschung wirkte sie auf einmal
fast verlegen. „Werd jetzt nicht sauer, ja?“, fuhr sie zögernd fort. „Aber mit
dem Kerl stimmt doch eindeutig was nicht. Ich meine, klar, er ist ein
Sahneschnittchen, aber leider sagt das wenig über seinen Charakter aus. Außen
hui, innen pfui, wenn du verstehst, was ich –“
„Würdest
du bitte zum Punkt kommen?“, unterbrach ich sie beunruhigt. Wenn Jinxy nicht
mit der Sprache herausrückte, konnte das nichts Gutes bedeuten.
„Also
überleg doch mal. Erst ist er ein richtiger Prince Charming, und gleich darauf
prügelt er drauflos, nur wegen Erics lächerlichem Versuch, ihm das Shirt
auszuziehen? Wir wissen ja, dass Rasmus niemals mit den anderen duscht oder
sich vor ihnen umzieht. Und von seinen Eltern oder seiner Vergangenheit hat er
dir noch überhaupt nichts erzählt. Na ja, du solltest vielleicht mal über die
Möglichkeit nachdenken, dass er als Kind misshandelt wurde. Richtig schlimm
misshandelt, sodass man es immer noch sehen kann und seine Persönlichkeit einen
Knacks
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