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Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Titel: Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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möglich (früher hatte ich
auch manchmal im Gehen gelesen, bis Jinxy mich höflich darauf hingewiesen
hatte, dass ich dabei einen etwas kauzigen Eindruck machte).
    Ich
hatte mich eigentlich immer eher für eine Einzelgängerin gehalten, aber nachdem
ich die letzten anderthalb Monate in ständiger Begleitung meiner geschwätzigen
Freundin oder des nicht minder redseligen Sam verbracht hatte, kam ich mir ohne
die beiden seltsam verloren vor. Linkisch trat ich von einem Fuß auf den
anderen, während ich die schnatternden Mädchen und Jungen um mich herum
beobachtete. Dabei machte ich zwei Feststellungen: Erstens, dass ich von den
wenigsten auch nur den Namen wusste, und zweitens, wie viel schwerer es mir auf
einmal fiel, diejenige Person zu ignorieren, die ich besser zu kennen geglaubt
hatte.
    Wie
immer stach Rasmus‘ dunkle Gestalt zwischen all den beigefarbenen Trenchcoats
hervor, was es mir bisher leichter gemacht hatte, ihm aus dem Weg zu gehen; nun
aber konnte ich mich kaum davon abhalten, ihn aus den Augenwinkeln zu
beobachten. Als wir uns vor dem Schulhaus anstellten, landete ich in der
Schlange direkt hinter ihm, und ich wusste wirklich nicht, ob das purer Zufall
oder meine Schuld war. Es hatte zu regnen begonnen, ein stiller, gleichmäßiger
Nieselregen, der mit einem leisen Plätschern auf rasch geöffnete Schirme und
aufgesetzte Kapuzen traf. Rasmus hatte nicht einmal eine Jacke dabei. Ich
beobachtete gegen meinen Willen, wie das Wasser sich einen Weg durch sein
zerzaustes Haar bahnte und von dort in dünnen Rinnsalen seinen Nacken
hinunterrann. Sein schwarzer Pullover klebte nass an seinem Rücken, und Rasmus
spannte unter dem dünnen Stoff die Schultern an, als würden ihn die
Regentropfen auf der Haut schmerzen. Es dauerte tatsächlich einige Sekunden,
bis ich zu dem Schluss kam, dass er fror – mir wurde bewusst, dass ich das bei
ihm noch nie erlebt hatte; auch nicht, als er durch und durch mit eisgekühltem
Sekt getränkt gewesen war. In diesem Augenblick erschien er mir noch
unerreichbarer und verschlossener als jemals zuvor.
    Kaum
war ich hinter Rasmus durch das Eingangstor getreten, beeilte ich mich, um als
Erste zum Klassenzimmer zu gelangen. Ich wollte wie in den vergangenen Tagen
bereits mit gesenktem Kopf auf meinem Platz sitzen, wenn er hereinkam, und
Rasmus schien mein Vorhaben zu durchschauen: Jedenfalls ging er auffällig
langsam, sodass er erst kurz vor Beginn der Stunde den Raum erreichte.
    Professor
Scott hatte das anfängliche Tempo seines Unterrichts beibehalten: Nach der
Behandlung von Hamlet und Macbeth hatte er uns durch As You
Like It und eine Verfilmung des Sommernachtstraums gejagt; in dieser
Kurseinheit sollte nun jeder für sich die Lektüre von Much Ado about Nothing beenden, womit wir uns endlich von Shakespeare verabschieden würden. Ich kannte
die Komödie bereits, doch um mich davon abzulenken, dass Rasmus direkt hinter
mir saß, vertiefte ich mich trotzdem in den letzten Akt. Aus diesem Grund hatte
ich auch keinerlei Schwierigkeiten, als mich Professor Scott gegen Ende der
Stunde bat, den Inhalt der ersten beiden Szenen daraus wiederzugeben. Ich geriet
nur zweimal kurz ins Stocken – einmal an der Stelle, als Benedikt Beatrice
fragt: „Und nun sage mir, in welche von meinen schlechten Eigenschaften hast
du dich zuerst verliebt?“ (ich bemühte mich vergeblich, nicht an Rasmus zu
denken), und das andere Mal, als Benedikt am Ende der zweiten Szene verspricht: „Ich will in deinem Herzen leben, in deinem Schoße sterben …“ (hier
vermied ich es, Professor Scott anzusehen – weil es doch etwas peinlich ist,
vor einem Lehrer über Orgasmen zu sprechen, und sei es auch in
renaissancetypischen Euphemismen).
    „Ausgezeichnet,
Lily“, lobte der Lehrer, und ich lehnte mich zufrieden zurück. Mein warmes
Triumphgefühl steigerte sich noch, als Professor Scott die nächste Frage an
Rasmus richtete und dieser mit seiner Antwort auf sich warten ließ: „Rasmus,
würden Sie bitte den Schluss des fünften Akts nacherzählen?“
    Die
Stille, die auf diese Aufforderung folgte, wurde nach einigen Sekunden fast
ohrenbetäubend. Ich beschloss, dass ich es mir nun gestatten konnte, einen
Blick nach hinten zu werfen … und augenblicklich verschwand die fiese kleine
Genugtuung, die mich soeben noch erfüllt hatte. Rasmus war merkwürdig blass; meine Gesichtsfarbe pflegte sich zwar zu verändern, wenn ich die Frage eines
Lehrers nicht beantworten konnte, aber Rasmus ließ so etwas

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