Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
in Richtung Hauptgebäude,
sondern zum Schülerparkplatz wandte. Auch für eine ungeschickte Person wie mich
war es nicht sonderlich schwierig, ihm zwischen den parkenden Autos unauffällig
auf den Fersen zu bleiben: Vermutlich hätte ich auch laut vor mich hin pfeifen
können, und er hätte es in seinem Zustand nicht bemerkt. Bei dem Gedanken, dass
er trotz seiner schlechten Verfassung selbst fahren wollte, beschlich mich ein
mulmiges Gefühl; diese Sorge wurde allerdings gleich darauf von der Frage
verdrängt, wie ich ihm nun weiterhin folgen sollte. Hinter ein paar
Müllcontainern am Rand des Parkplatzes verborgen sah ich dabei zu, wie Rasmus
in seine Schrottkarre kletterte und mit einer ruckartigen Bewegung die Türe
schloss. Nach einem kurzen Hüsteln sprang der Motor an, und der Wagen rollte
langsam auf die Straße – auf der sich gerade ein Taxi näherte. Anscheinend
sollte ich doch auch einmal Glück haben! Mit einem waghalsigen Satz direkt vor
das Taxi zwang ich den Fahrer zu halten und warf mich dann schwungvoll auf die
Rückbank.
„Folgen
Sie dem Wagen!“, rief ich und schnallte mich hastig an.
„Witz,
komm raus“, gab der Taxifahrer zurück.
„Nein,
ich meine das ernst“, sagte ich verzweifelt. „In dem zerbeulten Auto da sitzt
mein Freund, verstehen Sie? Und der ist gerade auf dem Weg zu seiner heimlichen
Geliebten!“
„So
ein Schuft“, meinte der Fahrer trocken und gab Gas. Nervös bohrte ich die
Finger in den zerfetzten Bezug der Sitzbank und zog kleine Schaumstoffstückchen
hervor, während ich mir fast den Hals verrenkte, um Rasmus‘ Wagen nicht aus den
Augen zu verlieren. Erst als ich nach fünfzehn Minuten bereits meine Faust in
das entstandene Loch stecken konnte, hörte ich schuldbewusst mit dem Ausweiden
der Polsterung auf. Stattdessen widmete ich mich nun endlich der Frage, ob ich
möglicherweise überreagierte: Zum zweiten Mal verpasste ich den Mathematikkurs,
weil ich wie eine Wahnsinnige irgendwo hinraste, um – was? Rasmus zu retten?
Wenn er seelenruhig dabei zusehen konnte, wie ich zusammengeschlagen wurde,
warum war ich dann krank vor Sorge, nur weil er einen halben Tag lang blau
machen wollte? Das war schließlich absolut nichts Neues für ihn. Aber für solche
Überlegungen war es wohl ein klein wenig zu spät.
Ich
ließ zu, dass sich meine Vernunft wieder in den hintersten Winkel meines
Gehirns verkroch, und begann erneut unruhig auf meinem Sitz herumzurutschen.
Wenn die Fahrt noch lange dauerte, würde mein Taschengeld niemals ausreichen,
um sie zu bezahlen. Leider sah es momentan nicht so aus, als hätten wir unser
Ziel beinahe erreicht: In halsbrecherischem Tempo jagte Rasmus sein armes Auto
an den Vorstadt-Reihenhäusern vorbei und bog schließlich mit quietschenden
Reifen in eine schlecht befestigte Straße ein, die von kahlen Feldern gesäumt
wurde.
„Der
scheint es ja echt nötig zu haben“, kommentierte der Taxifahrer, dann grinste
er entschuldigend. „Pardon.“
„Schon
gut, aber könnten Sie bitte etwas unauffälliger fahren?“
„Unauffälliger?“,
wiederholte der Fahrer vorwurfsvoll, drosselte aber das Tempo und ließ Rasmus
ein wenig Vorsprung, als dieser seinen Wagen auf eine Forststraße lenkte. „In
dieser gottverlassenen Gegend ist allein die Anwesenheit eines zweiten Autos
auffällig genug, egal, wie dicht wir an ihm dranbleiben. Wer ist denn seine
Geliebte, die böse Knusperhexe vielleicht?“
„Hoffentlich
nicht“, murmelte ich düster.
„Tja,
Mädchen, du könntest ihn wahrscheinlich besser bei der Stange halten, wenn du
dich etwas ansprechender kleiden würdest, weißt du?“, erklärte der Fahrer und
musterte im Rückspiegel meinen schiefergrauen Pullover. „Ein knappes Top,
vielleicht ein bisschen Rouge auf die Wangen, oder lieber ein paar Besuche im
Solarium …“
„Vorsicht!“,
unterbrach ich ihn scharf und duckte mich hinter den Beifahrersitz. Nur einen
Steinwurf von uns entfernt hatte Rasmus seinen Wagen vor einer Schranke geparkt
und öffnete gerade in dem Augenblick die Türe, als der Motorenlärm des Taxis
erstarb.
„Macht
siebenundzwanzig fünfundneunzig“, ließ sich der Fahrer vernehmen, und ich
zuckte erschrocken zusammen. Während ich fieberhaft in meiner Geldbörse
herumwühlte, warf ich immer wieder Blicke durch die Windschutzschreibe. Rasmus
stieg aus seinem Auto und folgte dem beinahe zugewachsenen Pfad auf der anderen
Seite der Schranke. Schon nach wenigen Metern konnte ich seine Gestalt im
Halbdunkel
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