Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
unseres Turnhallenviertels,
um den anderen bei ihren halsbrecherischen Übungen zuzusehen. Mit wachsender
Frustration beobachtete ich, wie die Mädchen sich überschlugen und auf den
Händen liefen; schließlich wanderte mein Blick wie von selbst zu dem Teil der
Halle, aus dem das Aufprallen eines Basketballs zu mir herüberschallte.
Der
Trainer, der für Coach Rodriguez eingesprungen war, schien frisch von der Uni
gekommen zu sein und wirkte nicht halb so streng wie sein Vorgänger. Ich hatte
in der letzten Zeit schon bemerkt, dass er auf Rasmus‘ Passivität eher mit
Enttäuschung als mit Wut reagierte, und offenbar hatte er auch nicht erkannt,
wie viel Potential in dem „schwarzen Schaf“ der Mannschaft steckte. Das
erklärte zumindest die Begeisterungsrufe, die er heute angesichts Rasmus‘ Spiel
ausstieß: Ich hatte zwar keine Ahnung von Basketball, doch ich wusste, dass
Rasmus viel schneller laufen konnte, als er es diesmal tat. Überhaupt wirkten
seine Bewegungen irgendwie ungeschickter als sonst; weil er aber zum ersten Mal
die ganze Einheit durchhielt, ohne gelangweilt an den Rand des Spielfelds zu
schlendern oder kleine Kunststückchen mit dem Ball auszuprobieren, war der
Aushilfstrainer trotzdem ganz aus dem Häuschen.
Als
die Jungen sich auf den Weg zur Umkleide machten, passte der Coach Rasmus ab
und begann strahlend auf ihn einzureden. Wegen des Lärms in der Halle konnte
ich nicht verstehen, was er sagte – es musste sich wohl um eine kleine
Lobeshymne handeln – und es interessierte mich auch nicht sonderlich. Ich ließ
jedoch währenddessen Rasmus nicht aus den Augen und stellte erstaunt fest, dass
er erschöpft nach Atem rang. Sein dunkelgraues Shirt hatte feuchte Flecken, und
obwohl es natürlich normal war, dass man bei einem solchen Training ins
Schwitzen geriet, hatte ich das noch nie bei ihm bemerkt. Das Seltsamste kam
allerdings am Schluss des Gesprächs, als der Coach seinen besten Spieler mit
einem aufmunternden Schulterklopfen entließ: Rasmus zuckte unter der Berührung
zusammen und wich dann hastig zurück, fast als fürchtete er, sein Trainer
könnte ihm einen richtigen Schlag versetzen. Stirnrunzelnd sah ich ihm nach,
während er mit schwerfälligen Schritten die Halle verließ. Ich überlegte, ob
ihn ebenfalls die Grippe erwischt hatte, und verwarf diese Theorie dann wieder.
Wie gut hätte ich nun Jinxy und ihre blühende Fantasie gebrauchen können!
Ich
war immer noch dabei, Rasmus hinterherzustarren, als eine wütende Coach
Svensson neben mir auftauchte. „Da Sie sich in dieser Stunde wieder einmal in
Untätigkeit geübt haben, könnten Sie sich zumindest beim Aufräumen nützlich
machen“, bemerkte sie spitz. Schuldbewusst wandte ich mich wieder unserem
Viertel der Turnhalle zu, wo meine Mitschülerinnen ihr Training längst beendet
hatten. Während sich eine nach der anderen zum Umziehen verdrückte, versuchte
ich die Lehrerin dadurch zu besänftigen, dass ich alle Matten in die
Gerätekammer schleifte. Deshalb verließ ich auch als Letzte den Umkleideraum,
und ich hatte es eilig, in die Cafeteria zu kommen. Kaum war ich allerdings auf
den Flur hinausgetreten, bremste ich scharf ab und wich wieder einen Schritt in
die Garderobe zurück. Ganz offensichtlich war ich nicht die Einzige, die das
Mittagessen zu verpassen drohte: Direkt neben der Jungenumkleide lehnte eine
Person alleine an der Wand, und es überraschte mich kaum, dass es Rasmus war.
Durch die halbgeöffnete Türe beobachtete ich, wie er sich vorbeugte und beide
Hände auf seine Oberschenkel stützte. Obwohl das Training nun beinahe zehn
Minuten zurücklag, ging sein Atem immer noch schnell und flach. Erst nach
mehreren Sekunden richtete er sich langsam wieder auf und griff nach seinem
Rucksack. Er suchte mit einer Hand an der Mauer Halt und tastete mit der
anderen zwischen Büchern und Heften herum, bis er schließlich etwas Metallenes
hervorzog.
Seine
Autoschlüssel. Hatte er etwa vor, den restlichen Unterricht zu schwänzen? Ich
dachte noch über die momentane Anzahl seiner Fehlstunden nach, da hatte Rasmus
bereits den Ausgang erreicht. In Windeseile fasste ich den Entschluss, ihm zu
folgen. (Schon gut – es war mir sehr wohl bewusst, dass ich auf einen
außenstehenden Beobachter ein wenig klettenhaft wirken musste. Aber darauf
konnte ich in diesem Moment nichts geben.)
Ich
hielt mich etwa zehn Schritte hinter Rasmus, während er ins Freie trat und sich
dann – ganz wie ich vermutet hatte – nicht etwa
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