Verblendung
den Steg ging, und er sah, wie sich ihre Schultern leicht versteiften. Zwei Meter vor ihr blieb er stehen.
»Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe, aber ich hatte nicht die Absicht, dich zu verletzen.«
Sie antwortete nicht.
Er ging zu ihr, setzte sich neben sie und legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter.
»Bitte, Lisbeth, sprich doch mit mir.«
Sie wandte den Kopf und sah ihn an.
»Da gibt es nichts zu reden«, sagte sie. »Ich bin ganz einfach ein Freak.«
»Ich wäre glücklich, wenn mein Gedächtnis nur halb so gut wäre wie deins.«
Sie warf die Zigarettenkippe ins Wasser.
Mikael schwieg eine ganze Weile. Was soll ich sagen? Du bist ein ganz normales Mädchen. Es macht doch nichts, wenn du manchmal ein bisschen eigen bist. Was hat sie eigentlich für ein Selbstbild?
»Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mir sofort gedacht, dass du anders bist«, sagte er. »Und soll ich dir noch was sagen? Es ist mir lange nicht mehr passiert, dass ich jemand vom ersten Augenblick an spontan so gemocht habe.«
Ein paar Kinder kamen aus einem Haus auf der anderen Seite des Hafenbeckens gelaufen und warfen sich ins Wasser. Eugen Norman, der Maler, mit dem Mikael noch immer kein einziges Wort gewechselt hatte, saß auf einem Stuhl vor seinem Häuschen und betrachtete Mikael und Lisbeth.
»Ich will so gerne dein Freund sein, wenn du mich auch als Freund haben willst«, fuhr Mikael fort. »Aber das musst du entscheiden. Ich gehe zurück zum Haus und setze noch mal Kaffee auf. Komm nach Hause, wenn dir danach ist.«
Er stand auf und ließ sie zurück. Er war erst zur Hälfte den Hügel hinaufgegangen, als er ihre Schritte hörte. Sie gingen zusammen zurück, ohne ein Wort zu sagen.
Als sie zu Hause ankamen, hielt sie ihn fest.
»Ich war gerade dabei, einen Gedanken zu formulieren … Wir hatten gesagt, dass alles eine Parodie auf die Bibel ist. Er hat zwar eine Katze zerstückelt, vielleicht war es einfach zu schwierig, sich einen Ochsen zu besorgen. Aber er folgt dem Grundmuster. Ich frage mich …«
Sie blickte zur Kirche hoch.
»… sollen das Blut herzu bringen und ringsum an den Altar sprengen, der vor der Tür der Stiftshütte ist …«
Sie gingen über die Brücke und hinauf zur Kirche, wo sie sich umsahen. Die Kirchentür war verschlossen. Sie gingen ein bisschen herum, sahen sich aufs Geratewohl ein paar Grabsteine an und kamen schließlich zu der Kapelle, die ein bisschen näher am Wasser stand. Es war keine Kapelle, sondern ein Mausoleum. Über der Tür sah er den Namen Vanger eingemeißelt und einen lateinischen Vers, von dem er nicht wusste, was er bedeutete.
»Ruhe bis zu der Zeiten Ende«, sagte Lisbeth.
Mikael sah sie an. Sie zuckte die Schultern.
»Ich hab die Strophe mal irgendwo gesehen«, erklärte sie.
Plötzlich lachte Mikael laut los. Sie erstarrte und sah zuerst wütend aus, dann begriff sie aber, dass er nicht über sie lachte, sondern über die Situation, und entspannte sich wieder.
Mikael drückte gegen die Tür. Sie war verschlossen. Er überlegte kurz, dann sagte er zu Lisbeth, sie solle sich hinsetzen und auf ihn warten. Er ging zu Anna Nygren hinüber und klopfte. Er erklärte, dass er sich die Grabkapelle der Familie Vanger genauer ansehen wolle, und fragte, wo Henrik den Schlüssel verwahre. Anna zögerte, gab aber nach, als Mikael sie daran erinnerte, dass er direkt für Henrik arbeitete. Sie holte den Schlüssel aus seinem Schreibtisch.
Sowie Mikael und Lisbeth die Tür öffneten, wussten sie, dass sie richtig vermutet hatten. Ein penetranter Gestank nach verbranntem Kadaver und verkohlten Resten lag in der Luft. Aber der Katzenquäler hatte kein Feuer gemacht. In einer Ecke stand eine Art Lötlampe, wie sie Skifahrer benutzen, wenn sie ihre Skier wachsen. Lisbeth zog ihre Digitalkamera aus der Tasche ihrer Jeansjacke und machte ein paar Bilder. Die Lötlampe nahm sie mit.
»Das kann Beweismaterial werden. Vielleicht hat er Fingerabdrücke hinterlassen«, meinte sie.
»Na klar, wir könnten alle in der Familie Vanger bitten, ihre Fingerabdrücke nehmen zu lassen«, gab Mikael sarkastisch zurück. »Es wäre sicher ein Riesenspaß, dir dabei zuzusehen, wie du versuchst, Isabellas Fingerabdruck abzunehmen.«
»Da gibt es gewisse Möglichkeiten«, antwortete Lisbeth.
Auf dem Boden war jede Menge Blut und auch eine große Kneifzange, die wohl verwendet worden war, um der Katze den Kopf abzutrennen.
Mikael sah sich um. Ein erhöhtes Hauptgrab
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