Verblendung
danach nahm er mich immer in sein Häuschen mit. Mehrmals war auch Martin dabei. Unser Vater zwang uns beide, gewisse Sachen mit ihm zu machen. Und er hielt mir die Arme fest, während Martin sich an mir … befriedigen durfte. Als mein Vater starb, stand Martin schon bereit, seine Rolle zu übernehmen. Er erwartete, dass ich seine Geliebte würde, und fand es ganz natürlich, dass ich mich ihm unterwerfe. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich keine Wahl mehr. Ich musste Martin zu Willen zu sein. Den einen Peiniger war ich losgeworden, nur um dem nächsten in die Hände zu fallen. Ich musste also aufpassen, dass sich möglichst keine Gelegenheit ergab, bei der ich mit ihm allein war.«
»Henrik hätte …«
»Sie verstehen mich immer noch nicht.«
Sie wurde lauter. Mikael sah, wie ein paar Männer im Zelt nebenan zu ihm hinüberschielten. Sie dämpfte ihre Stimme wieder und beugte sich ihm entgegen.
»Alles liegt ganz offen vor Ihnen. Sie müssen sich den Rest nur an den Fingern abzählen.«
Sie stand auf und holte noch zwei Flaschen Bier. Als sie zurückkam, sagte Mikael nur ein Wort zu ihr.
»Gottfried?«
Sie nickte.
»Am 7. August 1965 hatte mein Vater mich gezwungen, mit ihm in seine Hütte zu kommen. Henrik war verreist. Mein Vater war heillos betrunken und versuchte, mich zu vergewaltigen. Dabei kriegte er ihn nicht mal hoch, er war ja schon kurz vorm Delirium. Er war immer … grob und gewalttätig, wenn wir allein waren, aber diesmal überschritt er die Grenze. Er urinierte auf mich. Dann erzählte er mir wieder, was er mit mir machen würde. Am Abend sprach er von den Frauen, die er ermordet hatte. Er prahlte damit. Er zitierte die Bibel. Stundenlang ging das so. Ich verstand nicht mal die Hälfte von dem, was er sagte, aber ich begriff, dass er vollkommen krank im Kopf war.«
Sie nahm einen Schluck Bier.
»Irgendwann gegen Mitternacht bekam er einen richtigen Anfall. Er wurde total wahnsinnig. Wir waren oben in seinem Schlafgeschoss. Er legte mir ein T-Shirt um den Hals und zog so fest zu, wie er nur konnte. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel, dass er mich wirklich umbringen wollte, und zum ersten Mal in der Nacht gelang es ihm auch, mich vollständig zu vergewaltigen.«
Harriet Vanger richtete ihre Augen flehentlich auf Mikael.
»Aber er war so besoffen, dass ich mich irgendwie befreien konnte. Ich lief panisch aus der Hütte. Ich war nackt und rannte, ohne groß nachzudenken, bis ich plötzlich unten am Bootssteg ankam. Er kam mir torkelnd hinterher.«
Mikael wünschte sich plötzlich, sie würde nicht weitererzählen.
»Meine Kräfte reichten aus, um einen Besoffenen ins Wasser zu stoßen. Ich benutzte ein Ruder, um ihn unter Wasser zu drücken, bis er aufhörte zu zappeln. Es dauerte nur ein paar Sekunden.«
Sie hielt inne. Die Stille war plötzlich ohrenbetäubend.
»Und als ich wieder aufblickte, stand Martin da. Er sah erschrocken aus, grinste aber dann. Ich weiß nicht, wie lange er sich schon vor dem Häuschen herumgetrieben und uns nachspioniert hatte. Von diesem Moment an war ich ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er packte mich bei den Haaren, führte mich in die Hütte zurück und wieder in Gottfrieds Bett. Er fesselte und vergewaltigte mich, während unser Vater immer noch im Wasser unten am Landesteg trieb, und ich konnte mich nicht einmal widersetzen.«
Mikael blinzelte. Er schämte sich plötzlich und wünschte, er hätte Harriet Vanger in Frieden gelassen. Aber ihre Stimme war jetzt wieder fest.
»Von jenem Tag an war ich ganz in seiner Gewalt. Ich tat, was er mir sagte. Ich war wie gelähmt. Was mir den Verstand rettete, war, dass Isabella darauf verfiel, sie könnte Martin nach Uppsala schicken, weil er nach dem Tod seines Vaters eine andere Umgebung brauchte. Sie schickte ihn natürlich fort, weil sie wusste, was er mit mir machte. Das war eben ihre Art, dieses Problem zu lösen. Sie können sich vorstellen, wie enttäuscht Martin war.«
Mikael nickte.
»Im Laufe des folgenden Jahres war er nur in den Weihnachtsferien zu Hause, und es gelang mir, ihm aus dem Weg zu gehen. Zwischen den Jahren begleitete ich Henrik auf eine Reise nach Kopenhagen. Und in den Sommerferien war ja Anita da, der ich mich anvertraute. Sie blieb die ganze Zeit bei mir und sorgte dafür, dass er nicht in meine Nähe kommen konnte.«
»Sie haben ihn auf der Bahnhofstraße wiedergesehen.«
Sie warf Mikael einen fast schon amüsierten Blick zu.
»Es ist
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