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Verblendung

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Titel: Verblendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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Straße hatten die Räumfahrzeuge meterhohe Schneeberge hinterlassen. Sobald sie die Siedlung verlassen hatten, waren sie mitten in dichtem Tannenwald, und Mikael stellte überrascht fest, dass der Söderberg oberhalb der Häuser wesentlich höher und unzugänglicher war, als er vom Ort aus wirkte. Er überlegte kurz, wie oft Harriet hier wohl als Kind gespielt hatte, verscheuchte dann aber den Gedanken an sie. Nach ein paar Kilometern endete der Wald jäh an einem Zaun, hinter dem der Hof Östergården begann, von dem sie ein weißes Holzhaus und einen großen, roten Viehstall sehen konnten. Sie gingen nicht in Richtung Hof weiter, sondern spazierten denselben Weg nach Hedeby zurück.
    Als sie an der Auffahrt zum Vangerschen Haus vorbeikamen, klopfte Henrik Vanger kräftig von innen ans Fenster im Obergeschoss und winkte sie energisch heran. Mikael und Erika sahen sich an.
    »Möchtest du gerne einen Großindustriellen kennenlernen?«, fragte Mikael.
    »Beißt er?«
    »Samstags nie.«
    Henrik Vanger empfing sie an der Tür zu seinem Arbeitszimmer und schüttelte ihnen die Hand.
    »Ich habe Sie gleich erkannt. Sie müssen Frau Berger sein«, begrüßte er sie. »Mikael hat mit keinem Wort erwähnt, dass Sie nach Hedeby kommen wollten.«
    Eine von Erikas hervorstechendsten Eigenschaften war ihre Fähigkeit, sofort freundschaftliche Bande zu den unterschiedlichsten Individuen zu knüpfen. Mikael hatte zugesehen, wie sie mit ihrem Charme fünfjährige Jungen um den Finger wickelte, die innerhalb von zehn Minuten bereit gewesen wären, ihre Mütter zu verlassen. Männer über achtzig machten da keine Ausnahme. Erikas Grübchen schienen ihnen Appetit zu machen. Nach zwei Minuten ignorierte er Mikael vollkommen und plauderte mit ihr, als würden sie sich von Kindesbeinen an kennen - na ja, aufgrund des Altersunterschiedes kamen nur Erikas Kindesbeine infrage.
    Erika beschwerte sich zunächst ungeniert darüber, dass er ihren verantwortlichen Herausgeber in die Wildnis gelockt hatte. Der alte Mann gab zurück, sie hätte ihn den Pressemitteilungen zufolge ja bereits vor die Tür gesetzt, und wenn sie es noch nicht getan hätte, dann wäre es vielleicht höchste Zeit, den Ballast aus der Redaktion loszuwerden. Erika tat so, als musterte sie Mikael mit kritischem Blick. Und in diesem Fall, fuhr Henrik fort, könne ein Weilchen robustes Landleben dem jungen Herrn Blomkvist nur guttun. Da pflichtete Erika ihm bei.
    Fünf Minuten lang diskutierten sie in provokantem Ton seine Unzulänglichkeiten. Mikael lehnte sich zurück und tat beleidigt, aber er hob die Augenbrauen, als Erika ein paar doppelbödige Bemerkungen machte, die eventuell auf seine Mängel als Journalist anspielten, genauso gut aber auf mangelnde sexuelle Fähigkeiten gemünzt sein konnten. Henrik Vanger legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals.
    Mikael staunte. Die Kommentare waren lustig, aber so locker und entspannt hatte er Henrik Vanger noch nie erlebt. Er sah plötzlich vor sich, wie ein fünfzig Jahre - nein, dreißig Jahre - jüngerer Henrik Vanger als charmanter Verführer und attraktiver Frauenheld ausgesehen haben musste. Er hatte nie wieder geheiratet. Ihm mussten noch andere Frauen begegnet sein, aber er war ein knappes halbes Jahrhundert Junggeselle geblieben.
    Mikael nahm einen Schluck Kaffee und spitzte plötzlich die Ohren, als er merkte, dass das Gespräch in ernste Bahnen gekommen war und sich nun um Millennium drehte.
    »Ich habe von Mikael erfahren, dass Sie ein Problem mit dem Magazin haben.« Erika warf Mikael einen verstohlenen Blick zu. »Nein, nein, er hat keine internen Angelegenheiten mit mir besprochen, aber man müsste taub und blind sein, um nicht zu begreifen, dass es mit Ihrer Zeitschrift, genau wie mit dem Unternehmen Vanger, bergab geht.«
    »Wir werden das Ganze schon wieder in Ordnung bringen«, entgegnete Erika vorsichtig.
    »Das bezweifle ich«, gab Henrik Vanger zurück.
    »Warum?«
    »Schauen wir doch mal - wie viele Angestellte haben Sie, sechs? Eine Auflage von 21 000 pro Monat, Druck, Vertrieb, Büroräume … Sie brauchen einen Jahresumsatz von, über den Daumen gepeilt, zehn Millionen. Ungefähr die Hälfte davon muss über die Anzeigeneinnahmen reinkommen.«
    »Und?«
    »Hans-Erik Wennerström ist ein nachtragender und kleinlicher Mistkerl, der Sie so schnell nicht vergessen dürfte. Wie viele Anzeigenkunden haben Sie in den letzten Monaten verloren?«
    Erika betrachtete Henrik Vanger abwartend. Mikael hielt

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