Verborgen
zum Beispiel, das vor allem . Und um der Sache den Stachel zu nehmen, hatte sie ihn geküsst.
Sie hatte ihr Können für sich behalten, als wäre es eine Schwäche. Bevor sie zusammenzogen, hatte sie ihm nur einmal eine Kostprobe davon gegeben. Er war länger bei ihr gewesen, und sein Bruder war zu Besuch gekommen. Sie hatte noch niemanden von seiner Familie kennengelernt und wollte unbedingt Eindruck machen. Sie hatte Coq au vin gekocht, nach allen Regeln der Kunst, hatte über einen verliebten Metzger im Covered Market einen Junghahn ergattert und den ganzen Nachmittag in der Küche gestanden.
Er half ihr, das blutige Zeitungspapier von dem Hahn abzulösen. Es war ein hässliches Tier mit rotem Kamm, mächtiger bleicher Brust und gewaltigen narbigen Krallen, schwarz geschuppt, reptilienartig, zum Kämpfen genauso gut geeignet wie zum Scharren. Blut, Herz und Leber hatte man Emine in einer Art Styropor-Kanope gesondert mitgegeben. Der Anblick der Krallen gefiel ihm nicht, aber das Essen schmeckte so gut, dass es ihm die Sprache verschlug. Ted lachte sie beide aus.
Wieso seid ihr denn so baff? Man könnte ja meinen, ihr hättet noch nie zusammen an einem Tisch gesessen.
Damals war sie noch etwas Ungewöhnliches gewesen, diese momentane Verblüffung. Erst gegen Ende hatte die Befangenheit mehr und mehr ihr ganzes Leben erfasst. Oft war das Gespräch dann in Smalltalk und verlegenes Schweigen abgeglitten. Sie hatten sich nur noch umeinander herumbewegt wie Magnete, die man mit ihren Nordpolen aneinanderlegt, und alle Anziehung von einst war zu Bestürzung und Abneigung geworden.
Am Ende hatten sie sich zweimal bei einem Anwalt in Cowley getroffen – nicht in Emines Kanzlei, in einer anderen, billiger und neutraler eingerichteten; der fensterlose Raum war irgendwie noch von einem winterlich grauen Licht erfüllt, das Emine und die Anwälte niederzudrücken schien, ebenso wie Ben selbst. Keines der beiden Treffen war gut verlaufen, und beim zweiten Mal war er im Zorn weggegangen, zitternd wie ein alter Mann, vor Wut wie gelähmt. Trotzdem hatte er allem zugestimmt, was man von ihm verlangte. Emine hatte nicht viel gefordert. Um das Scheidungsgesetz hatte sie immer einen Bogen gemacht, und was die praktischen Details anging, schien sie fast genauso ahnungslos wie er. Sein Geld hatte sie nie gebraucht, und was sie sich sonst einmal von ihm gewünscht haben mochte, darauf wollte sie ihn nicht mehr verpflichten. Mit dem gemeinsamen Sorgerecht war sie einverstanden. Eine kirchliche Annullierung der Ehe würde es nicht geben, aber die Zivilscheidung sollte spätestens bis zum Sommer durch sein.
Nach Meinung der Anwälte war er gut weggekommen, das wusste er. Glimpflich davongekommen , so hatte sein Anwalt es ausgedrückt. Relativ . Hätte auch unerfreulich werden können, so wie sie gelagert ist. Religiös, meine ich . Und geschäftlich . Ein sauberer Schlussstrich, von dem Kind mal abgesehen .
Manchmal traf er sie zufällig im archäologischen Institut oder am College, mit Foyt im Schlepptau oder allein. Sie waren in beiden Einrichtungen zu Hause gewesen, doch irgendwie war er enteignet worden. Und auch nach ihrem Weggang war Emine in den Augen der anderen noch immer bei ihm, der Geist einer Ehefrau. Da waren die Seitenblicke, die Gespräche, die plötzlich abbrachen, wenn er einen Hörsaal oder den Aufenthaltsraum betrat. Dieses unerträgliche englische Verstummen.
Er hatte daran gedacht, sich aus Oxford zu verabschieden, die Stadt Emine und Foyt zu überlassen und nach Hause zurückzukehren, was immer er in London vorfinden würde. Er hatte angefangen zu trinken, nicht mit Genuss, sondern mit einer wilden, bodenlosen Begierde, die er nie zuvor verspürt hatte. Aber sie war ihm nicht fremd: Sein Vater hatte so getrunken. Als Kind hatte er das gefürchtet und gehasst, und umso mehr widerte es ihn bei ihm selbst an. Er hatte gemerkt, wie brüchig seine Normalität geworden war. Seine geistige Gesundheit war von einer Zerbrechlichkeit, die er nie zuvor zur Kenntnis genommen hatte. Sie war so verletzbar wie die Oberflächenspannung von Wasser.
Doch er konnte nicht für immer weggehen. Er war nicht bereit, so viel aufzugeben. Sein Leben war zu tief verwurzelt für einen so radikalen Schnitt. Dennoch war er gegangen. Er war davongelaufen wie ein Feigling.
Und vor wem war er davongelaufen, wenn nicht vor sich selbst? Als ob das möglich wäre. Als ob er sich selbst entkommen könnte.
Auch wenn Nikos nicht da war,
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