Verborgen
zwischen Sparta und seinen eigenen Untertanen ist einer der längsten, die die Geschichtsschreibung kennt. Und nicht nur die Dauer dieses Status quo ist denkwürdig. Noch bemerkenswerter ist der Umstand, dass Sparta überhaupt eine solche Machtfülle entfalten konnte.
Auf dem Höhepunkt seiner Stärke hatte Sparta neuntausend Hopliten. Mit weniger als der Hälfte dieser Streitmacht beherrschte es Lakedaimonien und Messenien. Mit weniger als zehntausend Mann hielt es einhundertachtzigtausend Heloten über mehr als drei Jahrhunderte gefangen.
Es war eine Herrschaft, die durch Waffengewalt allein nie möglich gewesen wäre. Dass so wenige so viele in Fesseln halten konnten, dazu mussten die Heloten an Sparta glauben. Dass sie so wenig auf sich selbst vertrauten, so wenig Hoffnung auf Befreiung hegten, dazu mussten sie ihre Herren für unbesiegbar halten. Sparta brauchte ihre Hoffnungslosigkeit. Spartas Macht beruhte nicht nur auf seiner Stärke. Sein System brauchte den Terror.
Im Titel des heutigen Vortrags ist von Göttern und Monstern die Rede. Von beidem habe ich bisher nicht gesprochen, aber jetzt möchte ich es tun, denn das Thema Terror führt uns direkt zu ihnen hin.
Um ein Volk zu verstehen, so heißt es, muss man nur seine Götter verstehen. Und seine Monster , möchte ich hinzufügen. Dass die Vereinigten Staaten eine überwiegend christliche Nation sind, erklärt ihre Geschichte in diesem unserem Zeitalter des Terrors nur zum Teil. Die Kenntnis der Volksmythologien dieses Landes – der Monster Amerikas, von der Roten Angst bis hin zum inneren Feind – bringt uns dem Verständnis seiner säkularen Mechanismen ein gutes Stück näher.
Das Wort »Monster« leiten viele vom lateinischen Begriff monstrum ab, was unter anderem »Schreckgestalt« und auch »Götterzeichen« heißt. Auch das altgriechische teras hat diese Bedeutung und bezeichnet nicht nur eine Abweichung von der Natur, sondern allgemeiner auch ein übernatürliches Vorzeichen. Wir wenden unseren modernen Sprachgebrauch auf ein vertrautes Bestiarium des Schreckens an und lassen die Bedeutungsnuancen der Antike außer Acht.
In der klassischen Archäologie finden sich Monster als Schmuckelemente auf Gegenständen aller Art, von der Tonscherbe bis hin zur Totenmaske. Wie erklärt sich die Allgegenwart dieser Darstellungen? Warum sollten ihre Adressaten in Angst und Schrecken versetzt werden? Östlich der hellenischen Welt sandte der abrahamitische Gott schon bald Engel als seine Boten aus, die Gottheiten der Griechen aber hatten keine solch gütigen Vermittler. Sie traten selbst auf den Plan, oder statt ihrer erschienen Monster.
Sprachunfähig und in Tiergestalt erscheint das Monster als ein armseliger Sendbote, bis man eines begreift: Das Monster ist die Botschaft selbst. Der Wille der Götter ist in der Kreatur verkörpert. Die Gorgonen, die den Betrachter zu Stein erstarren lassen, die Sirenen, die jeden töten, der ihrem Gesang lauscht, der Minotaurus, geboren aus der exzessiven sexuellen Begierde einer Frau – all diese Wesen sind Instrumente der Bestrafung und somit der Warnung. Ihre Funktion bleibt sich immer gleich: Das Monster straft den, der zu weit geht oder zu viele Fragen stellt.
Einfallsreichtum, Forschergeist – dergleichen wird nicht belohnt. Im Gegenteil: Was für die Götter gut ist, erweist sich als verhängnisvoll für die Sterblichen. Verstößt der Held gegen die Naturgesetze und ahmt die Bestrebungen seiner Gottheiten nach, suchen ihn Monster heim.
Die Botschaft des Monsters lautet, dass dem Tun der Götter nicht nachzueifern sei. Das monstrum , die fleischgewordene Warnung alter Texte und mündlich überlieferter Mythologie, ist eine eifersüchtige Demonstration von Schicksal oder göttlicher Macht. Monster sind die furchtbare Strafe, die über die fehlgeleiteten Erdenbewohner verhängt wird.
Was also können wir lernen von Sparta, von Spartas Mythologien?
Die Spartaner huldigten monströsen Göttern. Ihre Gottheiten waren der personifizierte Schrecken. Alle Götter verbreiten einen gewissen Schrecken – sonst, so behaupte ich, würde niemand das Knie vor ihnen beugen –, die Spartaner aber hatten eine besonders hohe Grauensschwelle. Eine außergewöhnliche Schreckenstoleranz. Ihre Götter sind furchteinflößender als die meisten anderen. Dies ist ihr Leitmotiv, dieses Vorherrschen dumpfer Angst.
Sind jene, die furchteinflößende Götter anbeten, furchteinflößende Menschen? Ebenso könnte das Gegenteil
Weitere Kostenlose Bücher