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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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konnte es in dem Grillrestaurant gefährlich werden. Weniger wegen des ganzen Drum und Drans – die Messer, das im eigenen Blut schwimmende Fleisch: potenzielle und stattgehabte Gewalt –, als vielmehr deshalb, weil all das an einem solch spannungsgeladenen Ort stets in Reichweite war. Die kleinste Kleinigkeit konnte einen Wutausbruch auslösen: eine falsch abgelesene Bestellung, die an einem anderen Tag nur für Erheiterung gesorgt hätte, ein ausgeliehener Löffel oder ein unbeaufsichtigter Topf mit Bohnen. Wann immer es passierte, was immer es war – es war, wie wenn man eine Prise Salz in kochendes Wasser gibt.
    Besonders schlecht war die Stimmung zur Mittagszeit, wenn die Bauarbeiter hereinströmten, Raubeine aus Volos und Larisa. Die Hälfte von ihnen machte Nachtschicht, sie waren müde und fuhren schnell aus der Haut. Ihre Bestellungen kamen alle gleichzeitig, und wenn irgendetwas schiefging, versank die Küche im Chaos. Dann redete Modest zu viel und Florent zu wenig, und Kostandin stieß leise Flüche aus, unsägliche Konsonantenstürme, bei denen die Albaner manchmal wie kleine Jungen kicherten, die aber auch alle in Wut versetzen konnten. Dann stand Modest knurrend und mit gefletschten Zähnen an der Holzkohle, Ben vermasselte vermurkste Bestellungen noch vollends, und Florent sah mit derart wilder Miene von seiner Arbeit auf, dass alle Gespräche abbrachen.
    Nikos interessierte sich nicht mehr für Ben, und Florent war nicht sein Problem. Sie waren nicht seine Feinde, sie waren einer des anderen Feind. Die Atmosphäre zwischen ihnen war so, dass Ben in sie hineingeraten konnte und es erst merkte, wenn es zu spät war. Sie war so, dass die anderen verstummten, wenn sie sich im selben Raum befanden. Als zählten alle die Sekunden nach dem Blitz.
     
Er dachte über Tapferkeit nach. Er war nicht tapfer. Als Kind war er einmal krank gewesen, schwer krank: doppelseitige Lungenentzündung. Zwei Wochen hatte man ihn im Krankenhaus behalten. In den Betten neben ihm lagen zwei Jungen und ein Mädchen. Allen dreien ging es sichtlich schlechter als ihm. Aber alle waren tapfer, fand er.
    Er hatte sie darum beneidet. Er erinnerte sich, wie er in dem Krankenwagen gelegen hatte – die Straße mit ihren Biegungen unter ihm, das bleiche Gesicht seiner Mutter über ihm – und wie ihm langsam gedämmert hatte, dass er möglicherweise in Gefahr war. Damals hatte er seine Würde verloren.
    Vor der Lungenentzündung hatte seine Mutter ihm einmal erzählt, sei er ein Kind gewesen, das man nicht aus den Augen lassen konnte, ein Entdecker, ein Kind, das mit Fremden sprach. Nach der Krankheit habe er sich verändert, hatte sie gesagt. Er hatte nicht widersprochen, doch er hatte sich seine Gedanken gemacht. Hatte er sich wirklich verändert? Was hatte ihm vor dieser Zeit Angst gemacht?
    Vielleicht war die Krankheit nur sein erster Vorgeschmack von Angst gewesen. Vielleicht hatte er bis dahin nicht genügend Vorstellungskraft besessen, um zu begreifen, dass er nicht der Mittelpunkt der Welt war. Dass er nicht die Triebkraft im Herzen der Dinge war, der Held, über jedes Unheil erhaben. Dass jedem alles passieren kann.
    Einmal wachte er mitten in der Nacht mit einem so starken Engegefühl auf, dass es war, als ginge in seinem Kopf ein Feueralarm los. Minutenlang saß er schweißgebadet da, und das Laken klebte an ihm, ehe er wieder wusste, wo er war. Das Zimmer, das Waschbecken, der Kalender. Die Fritteuse in der Ecke, die schlafenden Männer neben ihm. Ohne Erleichterung zu empfinden, sank er wieder zurück.
    Was hält dich hier ?, hatte Kostandin gefragt, und er hatte geantwortet: Nichts . Und so war es auch, natürlich, wie konnte es anders sein? Nur eine hauchdünne Verbindung hatte ihn nach Metamorphosis geführt. Es gab hier nichts für ihn, was die Gewalt wert gewesen wäre, die Kostandin kommen sah. Er konnte auch nach Albanien, wenn er wollte. Er konnte überallhin.
    Da kam Eberhard nach Metamorphosis, und mit Eberhard wurde alles anders.
     

III
     
    Aufzeichnungen für eine Doktorarbeit
     
    Mitschrift, Doxiades-Vorlesung,
»Spartanische Götter: Spartanische Monster«,
Eberhard Sauer, Oxford, 2003.
     
    Der Untergang Spartas ist eines der großen Mysterien des Altertums. Da Sparta nichts Schriftliches hinterlassen hat, existieren über den Niedergang der Stadt so viele Theorien wie über das Aussterben der Dinosaurier. Zu Zeiten Lykurgs soll sich die Zahl der spartanischen Männer auf neuntausend belaufen haben,

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