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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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alle in dem Dämmer, sie wirkten chaotisch und unansehnlich.
    »Und was halten wir von Sparta, jetzt, wo wir eine ihrer Leistungen entdeckt haben? Ich wette, Helena war stolz auf sie. Was meinst du, wie viele liegen da unten? Man könnte denken, sie hätten nach dem ersten Dutzend eine Ahnung bekommen, dass sie etwas Unrechtes getan haben …«
    »Mach dich nicht lächerlich. Arzneien sind nun mal giftig. Es ist unglaublich schwierig, zwischen einer heilkräftigen und einer schädlichen Dosis zu unterscheiden. Da irren sich auch heute noch manche. Nimm bloß mal die Viktorianer …«
    »Wen kümmern denn die Viktorianer? Was ich sagen will: Die ganze Zeit sind wir hier, verehren die Spartaner, treten in die Fußstapfen von Sparta – ja, genau das tun wir – und graben nach den glorreichen Leistungen von Sparta. Und jetzt stellt sich raus, dass sie Ungeheuer sind. Na? So viel zu dem beschissenen Sparta!«
     
Er ging bald nach Jasons Ausbruch. Natsuko kam mit. Auf der Straße konnten sie immer noch hören, wie sich Max und Jason vier Stockwerke über ihnen anschrien. Sie überquerten den verwaisten Platz, Natsuko nahm seinen Arm und ließ ihn nicht mehr los, bis sie vor dem beleuchteten Hotel ankamen.
    »Missgeburten«, hörte er sie Stunden später im Dunkeln flüstern. Sie atmete tief und gleichmäßig. Vielleicht hatte sie im Schlaf gesprochen. Er beugte sich über sie und sah, dass sie geweint hatte.
    Während er sie betrachtete, ging ihm durch den Sinn, dass Jason lediglich gesagt hatte, was sie alle empfanden. Er hatte getan, was er immer tat – das ausgesprochen, was die anderen nicht sagten, nicht in Worte zu fassen vermochten. Aber sie hatten es trotzdem gedacht, alle dasselbe. Derselbe Zorn und dieselbe Trauer hatten sie alle gepackt, als sie die Krüge ausgebuddelt und an die Oberfläche getragen hatten: Nach all der Plackerei hatten sie nicht den Ruhm, sondern den Horror Spartas gefunden.
     
Sie wachten beide im selben Moment auf, jedenfalls kam es ihnen so vor, ihre Augen öffneten sich füreinander, als hätten sie nicht nur zusammen geschlafen, sondern auch zusammen geträumt, obwohl keiner von beiden sich an einen Traum erinnern konnte.
    Es war spät, doch die Läden unten waren geschlossen, die Fenster unbeleuchtet. Im Hotel herrschte Begräbnisstimmung. Sie hatten das Frühstück verschlafen und gingen zum Kathedralenplatz, um mit Eleschen und Sylvia zu essen, stellten aber fest, dass sie weg waren und die Räume schal und hohl.
    Natsuko kochte, und er half ihr. Aus dem Nichts zauberte sie in der winzigen Küche genug für sie beide, ja noch viel mehr, genug für vier, dann sechs oder acht, anfangs mit entschlossener Miene, dann schwitzend und voller Panik in dem trüben Licht vom Ofen. Gegrillte Auberginen, gefüllte Zucchini und Paprika mit eingemachten Farnsprossen, in Scheiben geschnittene Orangen aus Lakonien mit Honig und Zimt, Reisbällchen, gefüllt mit eingelegten Pflaumen und in einer Hülle aus Lachshaut mit Ingwer und Wein gedünstet.
    »Ist das noch nicht genug?«, fragte er, als sie die Reisbällchen mit den Händen formte: Als sie, ohne zu antworten, zu ihm aufschaute, sah es aus, als betete sie.
    Hinterher döste sie in ihrem alten schmalen Bett, während er neben ihr auf dem Kopfkissen saß und ohne großes Interesse Eleschens eselsohrige Bücher durchblätterte – Begräbnisarchitektur der Minoer; Die Ausgrabungsstätte Giv’at ha-Oranim – oder durch das verstaubte Fenster auf die sonnenbeschienene Kathedrale hinausschaute. Manchmal gingen Frauen hinein, manche mit einem Arm voll Blumen, und ihr Treiben erschien ihm so geheimnisvoll wie das von Vögeln oder Insekten. Natsuko wachte noch vor Mittag wieder auf, und sie wickelten das Essen ein und legten es in den Kühlschrank. Der Anblick der bunt gefüllten Fächer schien sie aufzuheitern. Sie fand ihr Handy, versuchte Eleschen zu erreichen und war nicht niedergeschlagen, als sie keine Antwort bekam.
    »Fahren wir weg.«
    »Wohin?«
    »Ist mir gleich. Nur wir beide. Was meinst du?«
    Er setzte sich neben sie und senkte die Stimme in der leeren Wohnung. Aber er konnte seine Aufregung trotzdem nicht verbergen. »Meinst du ganz weg von hier?«
    Sie überlegte, kaute auf der Lippe, schüttelte den Kopf.
    »Aber würdest du mitkommen, wenn ich wegginge?«
    »Ich will hier nicht mehr sein. Wenn du möchtest, können wir ja jetzt unser Picknick machen.«
    Sie packten Essen ein und marschierten nach Westen, durch die Außenbezirke

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