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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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zu Ben.
    Er nahm die Flasche. Er trank den Schnaps wie Wasser. Er lief ihm übers Gesicht, als er die Flasche absetzte, und er wischte sich Kinn und Hemd ab und lachte erneut in der zunehmenden Dämmerung. Als er fertig war, hob er die Flasche.
    »Auf meine guten Freunde Natsuko und Ben. Ich habe euch nie gemocht. Ihr macht mich froh.«
    Asche wirbelte zwischen ihnen hoch, ein Strudel mit Max in der Mitte. Natsuko trat näher zu Ben. Es war etwas im Gesicht des anderen Mannes, ein fataler Humor, den auch er kaum zu ertragen fand. Deshalb schaute er ins Feuer. Zwischen den Zeitungen erblickte er einen kleineren Gegenstand. Es war ein schmales Buch. Eine Broschüre oder ein Pamphlet, der Einband weiß vor dem vielen verkohlten Papier. Rings um es wurden die Flammen kleiner.
    »Wir müssen los.«
    »Dann ab mit euch. Geht nur. Haut zusammen ab.«
    »Dein Feuer wird ausgehen«, sagte Natsuko, aber Max schüttelte den Kopf und trat wieder sachte gegen die Zeitungen. Er lächelte nicht mehr.
    »Das glaube ich nicht. Das brennt noch die ganze Nacht.«
     
Natsuko telefonierte. Sie horchte mit verkniffenem Gesicht, den Oberkörper über den Tisch gebeugt. Er erkannte Eberhards Stimme, ganz leise und ruhig, und obwohl er nichts verstand, wusste er genau, worum es ging.
    Sie saßen in einem Café unter den Kolonnaden des Stadtplatzes. Auf dem Tisch lagen vier Zeitungen, vor jedem zwei, die Seiten fleckig und mit Kaffeetassen, Untertassen, dem Wasserkrug und ihren Sonnenbrillen beschwert.
    Es stand nichts für sie drin, und von jetzt an konnte auch nichts mehr drinstehen. Es war Samstag. Es herrschte dichter Verkehr – Leute, die in der Innenstadt arbeiteten und auf den letzten Drücker nach Hause fuhren, um mit ihren Familien Ostern zu feiern. Auf dem Platz selbst war es ruhig, die wenigen Fußgänger hatten es eilig, als läge die Stadt unter Beschuss und als wären öffentliche Plätze gefährlich. Hinter alledem spürte man eine Euphorie, unterdrückt, gehemmt, aber zu stark, um noch lange in Schach gehalten zu werden. Es waren noch zehn Stunden bis Mitternacht. Alles wartete, nur sie beide nicht.
    »Nein«, sagte Natsuko ins Telefon.
    Dann: »Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht .«
    Und dann: »Nichts!«
    Und dann nichts mehr.
     
An dem Nachmittag gingen sie durch die Stadt. Natsuko wollte nicht mit ihm reden, hatte sich in sich selbst zurückgezogen, und seine Worte vermochten nichts auszurichten; sie gingen nebeneinander, aber voneinander getrennt durch ihre jämmerlichen Gedanken. Sie wanderten einfach umher, zögernd trottete der eine hinter dem anderen her. Sie hatten kein Ziel, verloren sich in den Seitenstraßen, so gut es ging: als hätten sie sich selbst verlieren können.
    In einer Straße gab ihnen eine alte Frau mit grauen Schnurrhaaren zwei Eier und sagte, sie sollten sie morgen essen. In einer anderen waren die Rinnsteine voll buntem Strandgut aus toten Blumen. Beim Krankenhaus ließen Kinder Kracher los, und zwei alte Männer, die in einem Hauseingang saßen und Kartoffeln wuschen, runzelten nachsichtig die Stirn über sie.
    Es dunkelte, als sie aus einer Gasse traten und feststellten, dass sie im Kreis gegangen waren. Sie waren wieder auf dem Stadtplatz. Natsuko hatte wunde Füße, und sie setzten sich an den Brunnen. Sie gab ihm die Eier und zog ihre Schuhe aus.
    Als er ihren Namen sagte, schüttelte sie den Kopf, als hätte er ihr eine Frage gestellt. Sie saß da, mit einem Fuß auf dem Schoß, und schaute von ihm weg. Die Lichter gingen allmählich an. In einer der Straßen zeichneten blaue Neonröhren die Umrisse einer Kirche nach.
    »Geh mit mir weg«, sagte er, aber sie schüttelte erneut den Kopf und zog sich wieder die Schuhe an.
    »Hebst du meins für mich auf?«
    »Was?«
    »Mein Ei.«
    Er schaute auf die Eier hinab. Sie waren ungleichmäßig gefärbt. Rostrot und terrakottafarben, ockergelb und zinnoberrot.
    »Du wirst ohne mich wegfahren.«
    »Das wäre besser.«
    »Wie besser?«
    »Besser für dich.«
    »Das stimmt nicht. Ich will mit dir zusammen sein.«
    »Ich möchte allein sein. Nur heute Nacht.«
    »Hab ich was falsch gemacht?«
    »Das tut jeder. Das hast du gesagt. Bringst du mich nach Hause?«
    Er ging mit ihr zum Kathedralenplatz, wartete, bis sie die Tür aufgeschlossen hatte, ging nach Hause mit dem Gefühl ihres Kusses noch frisch auf dem Mund. Die Straßen belebten sich, bis er das Hotel erreicht hatte. Beim Lärm von Feuerwerkskörpern und Kirchenglocken schlief er ein.
    Am

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