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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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intelligent und hatte als Erster in der Familie eine Spitzenuniversität besucht. Seine Augen waren ständig in Bewegung, nie verweilten sie länger auf einem Punkt. Er war gertenschlank. Er trank nicht. Er liebte Haschisch, wie Ben feststellte, und Sex, sofern man seinen Worten glauben konnte. Manchmal kam er mit einem Mädchen im Schlepptau ins Restaurant, doch er behandelte sie unfreundlich und mit einer Kälte, die Ben abstieß; seine Cousinen Demi und Chara beachtete er kaum. Er trainierte im Fitnessstudio eines internationalen Hotels nahe dem Syntagma-Platz, wo er Ausländerinnen kennenlernen konnte. Muskeln waren an ihm nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Kostandin meinte jedoch, er sei kräftiger, als er aussehe, und es klang so, als wüsste er, wovon er redete.
    Einmal zeigte der Albaner Ben, wie man Tintenfische ausnimmt – man zieht den Schulp aus dem weichen Körper wie eine Glasfeder aus einem Tintenfass –, und erzählte ihm dabei von Nikos. Mit siebzehn war der Junge mit Freunden zu einem Fußballspiel gegangen und anschließend in eine Schlägerei mit drei Engländern verwickelt worden. Er selbst war unverletzt geblieben, aber ein Freund hatte eine Schnittwunde an der Hand davongetragen, die genäht werden musste.
    Irgendwie fand Nikos heraus, wo die Männer wohnten. Am Abend ging er allein zu ihrem Hotel. Die Männer saßen im Restaurant, natürlich (so Kostandin) sturzbetrunken. Nikos trat an ihren Tisch und gratulierte ihnen zum Sieg ihrer Mannschaft. Er nahm ein Paar Motorradhandschuhe aus der Tasche, die er dabeihatte, und streifte sie, noch immer lächelnd, über: Dann griff er erneut in die Tasche und zog eine Motorradkette daraus hervor. Damit schlug er auf den Mann ein, der ihm am nächsten saß. Bei dem Versuch, sich zu schützen, wurde dem Mann die Hand halb abgetrennt. Er wäre fast verblutet.
    Mehrere Leute waren nötig, um Nikos von ihm wegzuzerren. Der Engländer strengte eine Zivilklage gegen ihn an, doch die Familie Adamidis regelte die Sache außergerichtlich. Nikos kam eine Woche vor seinem achtzehnten Geburtstag aus dem Gefängnis frei, ein mustergültiger Ersttäter, wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
    Im Sommer durchstreifte er nach eigener Darstellung die Stadt, um Touristinnen aufzureißen, die angeblich immer scharf darauf waren, rittlings auf seiner Honda und dann auf ihm selbst zu sitzen. Im Winter aber war die Ausbeute mager. Meist kehrte er noch vor Mitternacht bleich und missgelaunt nach Metamorphosis zurück, aß eine Kleinigkeit, starrte die ausländischen Arbeitskräfte seines Vaters an und unterhielt sich manchmal mit ihnen.
    »Du bist also Engländer?«
    »Ja.«
    »Ich mag Engländer.«
    »So?«
    »Ja. Weißt du, was deine Großväter für meine Großmütter getan haben?«
    Samstagabend, zehn vor neun. Kurz vor dem abendlichen Ansturm. Nikos lungerte an der Tür zum Hof herum. Er rauchte – Hasch, immer Hasch, nie Tabak – und hielt den Joint in die klare Abendluft. Auf dem Gelände des Restaurants tat er das nur, wenn seine Eltern nicht da waren. Hin und wieder unterstrich er seine Worte, indem er mit dem Joint in die Küche zeigte, auf das Personal oder auch auf die immaterielle Kraft seiner eigenen Worte, und das durchdringende Aroma blieb in der Luft hängen und vermischte sich mit den Küchengerüchen.
    »Das weißt du nicht? Ihr Engländer seid schon komisch. Vergesst ständig eure eigene Vergangenheit. Ihr habt uns doch von den Nazis befreit! Ihr und die Amerikaner. Ist das nicht toll? Da denkst du doch sicher, ich bin euch dankbar.«
    »Ja, klar.«
    Besser, man spricht nicht zu viel mit Leuten wie Nikos. Besser, man hört nicht so genau hin und redet selbst weniger.
    »Aber ich sag dir, ich bin nicht dankbar. Meine Großmutter ist dankbar – da hast du deine Dankbarkeit. Aber meine Großmutter ist Bäuerin. Ich selber, ich hab mich mit unserer Geschichte befasst. Ich weiß, was die Engländer erstens für mein Land getan und zweitens meinem Land angetan haben. Erst habt ihr uns geholfen, dann wolltet ihr uns kontrollieren. Ich will ja nicht unhöflich sein, aber wir sind hier unter Männern, da kann ich Klartext reden. Ihr habt uns gesagt, wir sollen uns vorbeugen und es nehmen wie Transen. Ihr seid zu kapitalistischen Einmischern geworden und dann zu arschkriechenden Kriegsverbrechern, nicht besser als die Amerikaner. Ja, klar, ihr habt unsere Dankbarkeit verdient, aber dann habt ihr sie verschleudert, als gäb’s davon unbegrenzte Mengen. Wie

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