Verborgene Liebesglut
in eine tiefe Ohnmacht gesunken.
Eine weitere Untersuchung brachte keine Neuigkeiten. Philippes Leben hing an einem seidenen Faden, und niemand konnte etwas für ihn tun. Wilcox blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Leise huschten zwei Lakaien durch das Gemach, um die Kerzen auszuwechseln. Stanton, der mit ihnen eingetreten war, schritt an die Seite des Lords und versuchte ihn dazu zu bewegen, etwas zu sich zu nehmen. Aber Wilcox lehnte die angebotenen Speisen ab und zog sich auf einen Sessel im Hintergrund des Raumes zurück, um in Ruhe nachzudenken. Wie hätte er etwas herunterbringen können, während Philippe um sein Leben kämpfte? Der Gedanke war absurd. Diskret zog sich der Diener zurück und überließ den Lord seinen düsteren Gedanken.
Warum nur hatte er Philippe alleine gelassen? Eine plötzliche Welle der Wut überfiel ihn, er ballte die Hände zusammen. Philippe hatte ihm vertraut, doch bei der ersten Gelegenheit hatte er dieses Vertrauen mit Füßen getreten. Sollte Philippe sterben, würde er sich das nicht verzeihen können. Wie viele Menschenleben waren ihm schon anvertraut worden. Männer, die er nicht kannte, die Fremde für ihn waren. Doch für jedes dieser Menschenleben hatte er mehr Verantwortung gezeigt als für das seines jungen Freundes. Wilcox schloß verzweifelt die Augen.
In diesem Augenblick wurde die Tür lautlos geöffnet. Lady Fairfax betrat den Raum und bewegte sich gemessenen Schrittes auf das Krankenlager zu. In der Hand hielt sie eine Schüssel mit Wasser. Wilcox hatte ihr Eintreten nicht bemerkt. Erst als sie an das Bett trat und sich über Philippe beugte, wurde er ihrer gewahr und öffnete die Augen. Er wollte aufspringen, um sie daran zu hindern, sich Philippe zu nähern, doch etwas hielt ihn zurück.
Er saß im Halbdunkel. Die Lady konnte unmöglich sehen, ob er wach war. Da sie ihn nicht angesprochen hatte, schloß er, daß sie davon ausging, er schliefe. Sollte Lady Fairfax etwas mit Philippes Krankheit zu tun haben, bot sich ihm nun die Gelegenheit, sie zu überführen. Er würde zu verhindern wissen, daß dem Kranken weiteres Leid zugefügt würde. Wie ein Jäger auf der Lauer beobachtete er hinter halbgeschlossenen Augenlidern jede ihrer Bewegungen.
Vorsichtig hatte sie sich auf der Bettkante niedergelassen und betupfte mit einem kleinen Schwamm die Stirn des Patienten. Dabei redete sie beruhigend auf den Jüngling ein. „Nicht wahr, mein kleiner Liebling, bald schon wird es dir besser gehen, viel besser." Ein leichtes Röcheln entrang sich Philippes Brust. „Ja, mein Guter", flötete die Lady, „du verstehst, was ich dir sagen will." Erneut tauchte sie den kleinen Schwamm in die Schüssel. Für einen kurzen Augenblick richtete sie ihren bohrenden Blick auf den Sessel, in dem Wilcox vermeintlich schlief. Dem Lord stockte der Atem. Blanker Hohn sprang ihm entgegen. Hatte sie etwa bemerkt, daß er sie beobachtete? Aber nein, das war nicht möglich. Denn schon im nächsten Augenblick drehte sie sich um und setzte ihre Tätigkeit fort.
Kurz darauf erhob sie sich vorsichtig und warf dem Patienten einen letzten Blick zu. „Schlafe, teuerster Philippe", flüsterte sie in einem eigentümlichen Tonfall. Dann wandte sie sich ab und verließ lautlos das Gemach.
Wilcox atmete tief durch. ,Nein', dachte er, ,Lady Fairfax kann mit der plötzlichen Erkrankung Philippes nichts zu tun haben.' Zwar empfand er ihre Anwesenheit als unerträglich und traute ihr auch die ein oder andere Niedertracht zu, besonders gegen die Bediensteten, aber eine Mörderin war sie nicht. Das hatte sie soeben hinlänglich bewiesen. Verunsichert blickte Wilcox zu Boden. Nein, er allein war für den Zustand seines Freundes verantwortlich. Hätte er ihn nicht sich selbst überlassen und auf ihn achtgegeben, wäre es niemals so weit gekommen.
Erneut wurde die Tür leise geöffnet. Stanton trat an den Sessel seines Herrn und bat ihn, in die Küche zu kommen. Irritiert blickt Wilcox ihn an. „Hat das nicht Zeit?" erkundigte er sich in gereiztem Tonfall. „Der Augenblick, um Belange des Haushalts zu besprechen, erscheint mir sehr ungünstig gewählt."
Stanton schüttelte den Kopf. „Mylord", erwiderte er eindringlich, „ich fürchte, die Angelegenheit erfordert Ihre sofortige Anwesenheit im Gesindetrakt. Ich störe Sie nur ungern in solch einem Moment, doch Sie werden verstehen. Es ist wirklich dringend."
Seufzend erhob sich Wilcox aus seinem Sessel und beugte sich zu Philippe hinunter.
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