Verborgene Liebesglut
eingenommen.
Wilcox wandte sich zu den Anwesenden um. Direkt vor ihm, in der ersten Reihe, saßen die Ehrengäste. Lady Fairfax als Mutter der Braut war natürlich auch dabei. Sie ließ den Lord keine Sekunde aus den Augen, als fürchtete sie, er könnte es sich im letzten Moment doch noch anders überlegen. Wilcox versuchte, ihren stechenden Blick zu ignorieren. Neben ihr saß Lady Fitzherbert. Offensichtlich schien sie von der Pracht der Hauskapelle tief beeindruckt zu sein. Ehrfurchtsvoll betrachtete sie die Fresken an der gewölbten Decke, die Szenen aus dem Leben der Mutter Gottes darstellten.
In der Tat war die Hauskirche der Kellinghursts an Pracht eher zu vergleichen mit Westminster Abbey als mit einem anderen privaten Gotteshaus. Der Altar war aus Alabaster gehauen und mit Ornamenten verschwenderisch verziert. Die bleigefaßten Fenster über dem Chor hatten die besten Glasmaler des Landes kunstvoll gestaltet. Das Sonnenlicht, das gerade hindurchfiel, brach sich in Kaskaden von leuchtenden Farben tausendfach über dem Altar und hinterließ den Eindruck, daß hier tatsächlich überirdische Mächte wirkten.
Wilcox nahm dies alles in sich auf. ,Verschwendet', dachte er. ,All diese Pracht und Schönheit verschwendet an eine elende Farce.' Doch er kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu vertiefen. Denn in diesem Augenblick erscholl von der Orgelempore der Hochzeitsmarsch. Die Braut hielt Einzug.
Zunächst betraten acht Jungfrauen in weiße Gewänder gehüllt das Mittelschiff. Jede von ihnen hielt eine Lilie in der Hand. Es hatte Wilcox ein Vermögen gekostet, die Blumen zu besorgen, da sie in seinen Gewächshäusern nicht wuchsen. Anders als bei Hochzeiten der guten Gesellschaft üblich, waren diese Brautjungfern nicht adliger Herkunft. Fiorinda hatte sie persönlich aus den Familien der Pächter ausgewählt. Allesamt waren es kräftige Mädchen mit frischem, von der Sonne leicht gebräuntem Teint. Unter allen Umständen wollte Fiorinda es vermeiden, von einer ihrer Brautjungfern an Schönheit übertroffen zu werden. Deshalb hatte sie sich für diese guten, schlichten Geschöpfe entschieden, die nun in Zweiergruppen ehrfürchtig zwischen den Anwesenden einherschritten.
Ihnen folgte die Braut selber. Da ihr Vater bereits gestorben war, führte sie der ranghöchste Beamte der Grafschaft am Arm. So war es schon immer Brauch gewesen. Dem spitzbäuchigen, älteren Herrn war anzusehen, welches Vergnügen es ihm bereitete, die atemberaubende Fiorinda Fairfax zum Altar zu geleiten und dabei von der versammelten guten Gesellschaft der Grafschaft beobachtet zu werden.
In der Tat war Fiorinda in ihrer strahlendweißen Hochzeitsrobe schöner denn je. Die üppigen Haare fielen in goldenen, schimmernden Wellen auf ihre Schultern. Kein Schleier verdeckte Fiorindas Stolz und Perle ihrer Schönheit. Nur ein Kranz aus weißen Blüten zierte das Haupt. Die Toilette, die sie zu ihrer Hochzeit trug, hatte einen betont schlichten Schnitt. Doch der Glanz der Seide und die üppigen Perlenstickereien am Dekolleté und den Ärmeln ließen keinen Zweifel daran offen, daß an diesem Gewand nicht gespart worden war. Zum Zeichen ihrer Unschuld und Jungfräulichkeit trug Fiorinda keinen Schmuck. Einzig das Band aus weißem Samt schmückte den schlanken Hals. Die Schleppe ihres Kleides wurde ebenfalls von zwei einfachen Bauernmädchen getragen, die das Glück nicht fassen konnten, eigens zu diesem Anlaß ein neues Kleid von ihrem Herrn geschenkt bekommen zu haben.
Mit einem bescheidenen Lächeln ging Fiorinda am Arm des schnaufenden Herrn zwischen den Anwesenden einher. Doch der Triumph, der in ihren Augen glomm, strafte das Lächeln Lügen. Sie hielt den Kopf erhoben und blickte ihrem künftigen Gemahl entgegen. Jeder Schritt, den sie tat, brachte sie einen Schritt näher zur Erfüllung ihrer glühendsten Wünsche.
Ruhig erwiderte Wilcox ihren Blick, während Fiorinda sich ihm näherte. Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis sie am Altar angekommen war. Überhaupt schien alles heute eine Ewigkeit zu dauern. Läge dieser Tag doch bloß schon hinter ihm! Der Geistliche räusperte sich und wartete ab, bis das letzte leise gewisperte Wort verklungen war. Die Zeremonie konnte beginnen.
„Die Braut möge zu meiner Rechten Aufstellung nehmen, der Bräutigam zu meiner Linken." Nachdem Fiorinda und Wilcox der Aufforderung des Pfarrers nachgekommen waren, blickte dieser sich suchend um. „Wer gibt die Braut?"
„Ich, ehrwürdiger Vater",
Weitere Kostenlose Bücher