Verborgene Lust
gegenüberliegenden Wand. Auf der anderen Seite des Raums steht ein langer Tisch, auf dem weitere Bilder ausliegen. Wo sind die anderen? Sie beugt sich hinab und sieht ihre eigenen Fotografien durch. Ihrer Meinung nach hat die Galerie eine ziemlich beliebige Auswahl getroffen. Es sind zwei Porträts von Valentinas neuer Tänzerfreundin Celia mit deren Freundin Rosa dabei. Auf einem steht Celia nackt auf den Zehenspitzen und hat ihr Bein zu einer Arabeske gehoben, während Rosa sie befriedigt. Auf dem anderen sind die nackten Körper der beiden Frauen mit einem altmodischen Spitzenschal aneinandergebunden, während sie sich gegenseitig streicheln. Auch eine von Valentinas ersten erotischen Kompositionen ist darunter: ein Selbstporträt in Sepia, auf dem ihr nackter Körper sich in einem venezianischen Kanal spiegelt. Dann haben sie noch ein paar jüngere Arbeiten ausgewählt. Ein Bild ist von ihren Erfahrungen mit Leonardo inspiriert. Es zeigt eine Nahaufnahme von Celias Po mit dem Ansatz ihrer Scham, auf den Wachs getropft ist. Die beiden letzten Fotografien sind von Antonella und Mikhail. Auf einem Schwarzweißbild ist Antonellas Gesicht zu sehen, während sie Mikhail mit dem Mund befriedigt, das andere ist eine Nahaufnahme von Mikhail, der eine von Antonellas Brüsten in der Hand hält und an ihrem Nippel saugt. Sie sind schlicht, aber bemerkenswert in ihrer Direktheit.
Valentina ist durchaus bewusst, dass manche Menschen diese Aufnahmen als Pornografie bezeichnen werden, doch sie findet ihre Schönheit offensichtlich. Die pure Darstellung der Lust, ein ästhetisches Porträt des Begehrens. Es sind nicht einfach nur nackte Körper und Sex. Sie haben etwas Poetisches, Überirdisches. Valentina glaubt, dass all jene, die ihre Arbeit und die ihrer Kollegen kritisieren, einfach nur Angst haben. Jeder besitzt eine dunkle Seite. Jeder hat dunkle Sehnsüchte. Da ist sie sicher.
Sie geht die Bilder noch einmal durch, denn sie hat das Gefühl, dass etwas an der Auswahl nicht ganz in Ordnung ist, aber sie kann es nicht genau benennen.
Dann hört sie das Lachen einer Frau und näher kommende Schritte. Jetzt bemerkt sie, dass gegenüber dem Empfang eine weitere Tür abgeht. Ein Licht wird eingeschaltet, und zwei Frauen betreten den Raum. Die eine ist gertenschlank und groß mit sehr langen dunklen Haaren. Sie trägt ein Etuikleid aus kastanienbrauner Seide, in dem Valentina ihre dünnen Arme und die knochigen Schultern auffallen.
»Valentina?«, sagt die Frau und kommt auf sie zu. »Ich bin Kirsti Shaw. Wie schön, Sie kennenzulernen.« Sie spricht mit leicht amerikanischem Akzent. Kirsti streckt Valentina die Hand entgegen, die diese etwas halbherzig ergreift, da die andere Frau ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Kirstis Begleiterin scheint geradewegs einer Burlesque-Show aus den Fünfzigerjahren entstiegen zu sein. Die Frau hat glänzende blonde Haare, die sie zu vollen Wellen à la Marilyn Monroe frisiert hat, nur noch extremer. Ihre Haut ist makellos und noch blasser als Valentinas, und sie hat dunkelblaue, mit schwarzem Eyeliner umrandete Augen mit falschen Wimpern. Ihre vollen rosa Lippen passen perfekt zu ihrer Kleidung. Sie trägt ein fuchsiafarbenes Bustier, das an der Vorderseite durchgehend mit schwarzer Spitze besetzt ist, und dazu einen passenden Rock, der Hüften und Schenkel umhüllt. Sie besitzt die Figur einer Sanduhr, volle Brüste, schlanke Taille und einen prallen Hintern. Vervollständigt wird ihre Erscheinung durch zwei lange rosafarbene Handschuhe, die bis zu den Ellbogen hinaufreichen, sowie Netzstrumpfhosen und rosa Pumps. In der Armbeuge hängt an einer Kette eine kleine rosa Tasche. Ihre ganze Aufmachung ist völlig übertrieben, eine zuckersüße Femme fatale. Valentina versucht vergeblich, sie nicht anzustarren.
»Valentina«, sagt Kirsti, »ich möchte dir eine der anderen Künstlerinnen vorstellen, Anita Chappell. Anita, das ist Valentina Rosselli.«
Anita stakst zu ihr herüber und streckt ihr die Hand entgegen.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagt sie in perfektem Englisch. Sie klingt nicht so, wie sie aussieht, wie eine Figur aus dem Hollywood der Fünfzigerjahre.
»Ich habe schon so viel von Ihnen gehört.« Anita klimpert mit ihren künstlichen Wimpern. »Ich liebe Ihre Bilder«, versichert sie Valentina.
»Danke«, murmelt diese und fragt sich, was Anita wohl für Bilder macht.
»Anita ist eine der bekanntesten Burlesque-Tänzerinnen in London«, erklärt Kirsti.
»Ich
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