Verborgene Lust
sehr. Allein, ihm an diesem kleinen Cafétisch gegenüberzusitzen, hat sie erregt. Sie zittert vor Verlangen. Sie muss sich beruhigen.
Sie holt tief Luft. Sie wird ihm nicht folgen. Er will sich nicht von Anita trennen, bis sie ihm ihre Liebe bewiesen hat. Fürs Erste muss sie ihn gehen lassen. Sie wandert durch die Räume der Kunsthalle. Als die Tasche beim Laufen gegen ihre Beine schlägt, spürt sie die DVD . Sie weiß nicht viel über ihre Großmutter. Ihre Mutter hat Maria Rosselli als schüchtern und zurückhaltend beschrieben, das genaue Gegenteil ihrer extrovertierten Tochter. Sie ist eine hingebungsvolle Mutter und Ehefrau gewesen. Doch ihre Großmutter scheint eine verborgene Seite besessen zu haben. Konnte die Filmaufnahme tatsächlich zeigen, wie sie ein modernes Ballett tanzte, etwas Revolutionäres, wie Thomas meinte? Sie ist neugierig, eine neue Seite ihrer Vorfahrin zu entdecken.
Valentina streift gedanken- und ziellos umher und findet sich vor einem ihrer präraffaelitischen Lieblingsbilder wieder: Lilith von Rossetti. Etwas an Lady Lilith erinnert sie an Anita. Die dunkelblonden Zöpfe, der weiße Teint, die vollen Brüste und die wohlgeformte Gestalt, ihre dunklen Brauen und rosaroten Lippen. Doch vor allem ist es der Ausdruck in ihren Augen, während sie sich im Spiegel betrachtet. Das Wissen um ihre Macht und Schönheit als Frau und eine gewisse Distanz. Diesen Ausdruck hat sie bei der Burlesque-Tänzerin beobachtet, als sie gestern für sie und Kirsti Shaw getanzt hat. Sie versteht, warum Anita sowohl auf Männer als auch auf Frauen so unwiderstehlich wirkt. Kein Wunder, dass Thomas noch nicht bereit ist, sie gehen zu lassen. Irgendwie muss Valentina ihm beweisen, wie sehr sie ihn liebt. Worte genügen offenbar nicht mehr. Sie unterdrückt ihre Enttäuschung darüber, dass sie ihn heute noch nicht zurückgewinnen konnte, und versucht, ihrer Intuition zu vertrauen, denn tief in ihrem Inneren weiß sie, dass sie Thomas zurückbekommen wird. Sie muss jetzt nur überlegen, wie.
Maria
Die Wochen vergehen, doch egal wie oft sie sich im zweiten Stock herumdrückt, Maria trifft Felix nie. Offenbar haben sie unterschiedliche Tagesabläufe. Maria steht jeden Morgen früh auf, um zum Unterricht zu gehen, und kommt nicht vor halb sechs oder sechs Uhr abends zurück. Es kann sein, dass Felix das Haus nach ihr verlässt und erst zurückkommt, wenn sie schon, erschöpft vom Tag in der Tanzschule, in ihrem Bett liegt. Den Großteil des Wochenendes verbringt Maria mit Jacqueline. Samstags stehen sie früh auf und gehen los, um sich abwechselnd in der Schlange beim Metzger anzustellen, oder sie versuchen, an andere Waren wie Brot oder Tee zu kommen. Sonntags besuchen sie die Messe in Westminster Abbey, der majestätischen Basilika, die von den Bombenangriffen gezeichnet ist. In ihren Mauern bemüht sich Maria zu beten. Sie bittet Gott, ihr dabei zu helfen, sich den dunklen Franzosen aus dem Kopf zu schlagen, der sie vor einer Vergewaltigung bewahrt hat. Sie möchte wieder das Mädchen werden, das sie vor der Begegnung mit Felix war – ein Mädchen, das sich ganz dem Tanz widmet. Schließlich ist es Jacqueline, die Maria unabsichtlich erklärt, warum sie Felix nicht begegnet. Eines Abends, als sie das Abendessen vorbereiten, kämpft Jacqueline mit dem Dosenöffner und einer Büchse Frühstücksfleisch.
»Verflixt, er ist total stumpf«, stellt sie fest. »Sei so gut und lauf hinunter zu Guido. Frag ihn, ob wir uns seinen Öffner leihen können.«
Anstatt den Italiener zu bitten, sieht Maria die Gelegenheit gekommen, an Felix’ Tür zu klopfen.
»Und was, wenn er nicht da ist? Soll ich dann zu Monsieur Leduc gehen?«
»Ach nein«, antwortet Jacqueline und füllt Wasser in einen Kochtopf, wobei sie ihr den Rücken zuwendet. »Er ist in Frankreich, um einen seiner Filme zu drehen. Außerdem ist er immer schlecht gelaunt. Ich würde ihn nie um etwas bitten!«
Maria ignoriert Jacquelines Beschreibung von Felix. Sie weiß , dass er ein guter Mensch ist. Stattdessen spürt sie einen Schauer der Erregung. Ihr Traummann ist Filmregisseur. Sie kann sich kaum einen beeindruckenderen Beruf vorstellen.
»Er macht Filme?«
»Ja, aber ich glaube, sie sind nicht sehr bekannt. Ich habe noch nie einen gesehen. Guido hat mir erzählt, dass sie ziemlich seltsam sind. Surrealistisch, meinte er.«
»Wie ist Monsieur Leduc, er ist doch ganz sicher nicht ständig schlecht gelaunt?«
Maria pirscht sich an Jacqueline heran
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