Verborgene Muster
während andere auf den Banken im Park saßen und die Tauben und
Eichhörnchen mit Brotkrumen fütterten oder in den Sonntagszeitungen mit ihren fetten Schlagzeilen
lasen. Über ihnen erhob sich das Schloss, dessen Flaggen heftig in dem nur zu vertrauten Wind
flatterten. Das Scott Monument, diese gotische Rakete, wies den Gläubigen die richtige Richtung,
doch nur wenige der Touristen, die das Bauwerk mit ihren teuren japanischen Kameras knipsten,
schienen sich für seine symbolische Bedeutung zu interessieren und schon gar nicht für das
Gebäude an sich, solange sie einige Fotos davon hatten, um vor ihren Freunden zu Hause damit
angeben zu können. Diese Touristen verbrachten so viel Zeit damit, Dinge zu fotografieren, dass
sie eigentlich nie etwas richtig sahen, ganz im Gegensatz zu den jungen Leuten, die durch die
Gegend zogen und so sehr damit beschäftigt waren, das Leben zu genießen, dass sie gar nicht auf
die Idee kamen, falsche Eindrücke davon einzufangen.
»Was möchtest du denn machen?«
Die touristische Seite seiner Hauptstadt. Diese Leute interessierten sich nie für die
Wohnsiedlungen außerhalb des Bilderbuchzentrums. Sie wagten sich nie nach Pilton oder Niddne oder
Oxgangs hinaus, um in einer nach Pisse stinkenden Mietskaserne eine Verhaftung vorzunehmen. Die
Dealer und Junkies von Leith berührten sie nicht, erst recht nicht die geschickte Korruption der
Herren der Stadt oder die kleinen Eigentumsdelikte in einer Gesellschaft, die so weit in den
Materialismus getrieben worden war, dass Stehlen die einzige Möglichkeit zur Befriedigung all
dessen war, was die Leute für ihre Bedürfnisse hielten. Und da die Touristen nicht hier waren, um
Lokalzeitungen zu lesen oder Lokalfernsehen zu gucken, wussten sie höchstwahrscheinlich auch
nichts von Edinburghs neuestem Medienstar, dem Kindermörder, den die Polizei nicht fassen konnte,
dem Mörder, der die Vertreter von Recht und Ordnung an der Nase herumführte, der ihnen keinerlei
Anhaltspunkte hinterließ und ihnen nicht die geringste Chance gab, ihn aufzuspüren, solange er
keinen Fehler machte. Er bedauerte Gill wegen ihres Jobs. Er bedauerte sich selbst. Er bedauerte
die ganze Stadt bis hin zu ihren Gaunern und Banditen, ihren Huren und Spielern, ihren ewigen
Verlierern und Gewinnern.
»Also, was möchtest du nun machen?«
Seine Tochter zuckte die Schultern.
»Ich weiß nicht. Vielleicht ein bisschen spazieren gehen? 'ne Pizza essen? Ins Kino gehen?«
Sie gingen spazieren.
John Rebus hatte Rhona Phillips kennen gelernt, kurz nachdem er bei der Polizei angefangen hatte.
Davor hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten (warum hast du die Armee verlassen, John?) und
sich in einem Fischerdorf an der Küste von Fife davon erholt. Damals hatte er Michael nicht
gesagt, dass er sich in Fife aufhielt.
In seinem ersten Urlaub bei der Polizei, seinem ersten richtigen Urlaub seit Jahren - die anderen
waren für irgendwelche Kurse oder Prüfungsvorbereitungen draufgegangen - war Rebus in dieses
Fischerdorf zurückgekehrt, und dort hatte er Rhona kennen gelernt. Sie war Lehrerin und hatte
bereits eine grausam kurze und unglückliche Ehe hinter sich. In John Rebus sah sie einen starken
und aufrechten Ehemann, jemanden, der keinem Streit aus dem Wege gehen würde; aber auch jemanden,
den sie umsorgen konnte, denn hinter seiner äußeren Stärke verbarg sich unübersehbar eine innere
Zerbrechlichkeit. Sie erkannte, dass er immer noch von seinen Jahren bei der Armee heimgesucht
wurde, besonders von der Zeit bei der »Spezialeinheit«. Manchmal wachte er nachts weinend auf,
und manchmal weinte er, wenn sie sich liebten, ein stilles Weinen, und die Tränen fielen langsam
und hart auf ihre Brust. Er wollte nicht viel darüber reden, und sie hatte ihn nie gedrängt. Sie
wusste, dass er während der Ausbildung einen Freund verloren hatte. Das konnte sie
nachvollziehen, und er sprach das Kind in ihr an und zugleich die Mutter. Er schien perfekt. Viel
zu perfekt.
Aber das war er nicht. Er hätte niemals heiraten dürfen. Zunächst lebten sie halbwegs glücklich,
sie unterrichtete Englisch in Edinburgh, bis Samantha geboren wurde. Dann jedoch wurden aus den
kleinen Streitereien und Machtspielchen heftige Auseinandersetzungen und anhaltendes Misstrauen.
Traf sie sich mit einem anderen Mann, einem Kollegen an ihrer Schule? Traf er sich mit einer
anderen Frau, wenn er angeblich eine seiner zahlreichen Doppelschichten hatte? Nahm sie
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