Verborgene Muster
Drogen,
ohne dass er es wusste? Nahm er Schmiergelder, ohne dass sie es wusste? Tatsächlich waren all
diese Verdächtigungen völlig aus der Luft gegriffen, doch darum schien es auch gar nicht zu
gehen. Vielmehr schien sich etwas ganz anderes zusammenzubrauen, doch keiner von ihnen erkannte
das Unvermeidliche, bevor es zu spät war. Stattdessen kuschelten sie sich immer wieder aneinander
und versöhnten sich, als befänden sie sich in einem mittelalterlichen Theaterstück oder einer
Seifenoper. Man musste schließlich an das Kind denken.
Das Kind, Samantha, war mittlerweile eine junge Dame geworden, und Rebus spürte, wie sein Blick
abschätzend und schuldbewusst (mal wieder) zugleich zu ihr schweifte, während sie durch die
Parkanlage unterhalb des Schlosses auf das ABC-Kino in der Lothian Road zugingen. Sie war nicht
schön, denn das konnten nur Frauen sein, doch sie war dabei, zu einer Schönheit heranzuwachsen,
und das mit einer Unvermeidlichkeit, die atemberaubend, aber auch erschreckend war. Er war
schließlich ihr Vater. Da hatte man doch irgendwelche Gefühle, das gehörte einfach dazu.
»Willst du mir nichts von Mummys neuem Freund erzählen?«
»Du weißt verdammt genau, dass ich das will.«
Sie kicherte. Also war doch noch etwas von dem kleinen Mädchen in ihr, doch selbst ihr Kichern
hörte sich jetzt anders an, es schien beherrschter, fraulicher.
»Er ist angeblich ein Dichter, aber er hat bisher noch kein Buch oder sonst was rausgebracht.
Seine Gedichte sind außerdem Scheiße, aber das will Mummy ihm nicht sagen. Sie glaubt, die Sonne
scheint aus seinem na-du-weißt-schon.« Sollte dieses »erwachsene« Gerede ihn beeindrucken?
Vermutlich.
»Wie alt ist er?«, fragte Rebus und erschrak über seine plötzliche Eitelkeit.
»Ich weiß nicht. Zwanzig vielleicht.«
Das traf ihn wie ein Schlag. Zwanzig. Sie vergriff sich schon an Kindern. Mein Gott. Was hatte
das für Auswirkungen auf Samantha, die angebliche Erwachsene? Ihm grauste bei dem Gedanken, aber
schließlich war er kein Psychoanalytiker. Das war Rhonas Bereich oder war es mal gewesen.
»Also ehrlich, Dad, er ist ein furchtbarer Dichter. Da hab ich bessere Sachen in meinen Aufsätzen
in der Schule geschrieben. Nach den Sommerferien gehe ich auf die Schule für die Großen. Wird
lustig sein, in die Schule zu gehen, an der Mum arbeitet.«
»Ja, wird es sicher.« Rebus merkte, dass etwas an ihm nagte. Ein Dichter von zwanzig Jahren. »Wie
heißt denn dieser Knabe?«, fragte er.
»Andrew«, sagte sie. »Andrew Anderson. Klingt das nicht komisch? Eigentlich ist er ganz nett,
aber auch ein bisschen merkwürdig.«
Rebus fluchte leise vor sich hin. Andersons Sohn, der wandernde Dichtersohn des gefürchteten
Anderson, war bei Rebus' Frau eingezogen. Was für eine Ironie des Schicksals! Er wusste nicht, ob
er lachen oder weinen sollte. Lachen schien eine Winzigkeit angemessener.
»Was lachst du, Daddy?«
»Ach nichts, Samantha. Ich freu mich bloß. Was hast du gerade gesagt?«
»Ich hab gesagt, dass Mum ihn in der Bibliothek kennen gelernt hat. Da gehen wir oft hin. Mum
liebt diese literarischen Bücher, aber ich mag lieber Bücher über Liebesgeschichten und
Abenteuer. Ich kann die Bücher, die Mum liest, überhaupt nicht verstehen. Habt ihr die gleichen
Bücher gelesen, als ihr noch... bevor ihr...?«
»Ja, das haben wir, aber ich konnte sie auch nicht verstehen, also mach dir deswegen keine
Sorgen. Ich bin froh, dass du viel liest. Wie ist diese Bibliothek denn so?«
»Sie ist wirklich riesig, aber es kommen viele Penner dahin, um zu schlafen. Die hängen da
ständig rum. Sie nehmen sich ein Buch, setzen sich damit hin und schlafen einfach ein. Die
stinken furchtbar!«
»Du brauchst ja nicht in ihre Nähe zu gehen. Am besten kümmerst du dich gar nicht um sie.«
»Ja, Daddy.« Ihre Stimme klang leicht vorwurfsvoll. Das sollte ihm wohl sagen, dass derlei
väterlicher Rat unnötig war.
»Hast du denn Lust, ins Kino zu gehen?«
Doch das Kino war geschlossen, also gingen sie in eine Eisdiele in Tollcross. Rebus sah zu, wie
Samantha Eiskugeln in fünf verschiedenen Farben aus einem Knickerbocker-Glory-Becher in sich
hineinschaufelte. Sie war noch in der Phase, wo sie alles essen konnte, ohne ein Gramm
zuzunehmen. Rebus war sich seines gedehnten Hosenbunds nur zu bewusst, seines Bauches, dem er
gestattete, sich nach Belieben auszubreiten. Er trank einen Cappuccino (ohne Zucker) und
beobachtete aus den Augenwinkeln, wie eine
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