Verborgene Muster
hatte sich dennoch gelohnt, schließlich hatte er John Rebus
kennen gelernt. Und Rebus war mit Gill Templer befreundet. Das machte zwar alles noch ein
bisschen verwirrender, aber auch interessanter. Rebus war ganz gewiss interessant, obwohl er rein
äußerlich überhaupt nicht seinem Bruder ähnelte. Der Mann wirkte durchaus ehrlich, aber wie
sollte man einem Polizisten rein äußerlich ansehen, ob er korrupt war? Es war ja das Innere, was
verdorben war. Rebus hatte also ein Verhältnis mit Gill Templer. Er erinnerte sich an die Nacht,
die er mit ihr verbracht hatte, und schauderte. Das war ganz bestimmt sein absoluter Tiefpunkt
gewesen.
Er zündete sich eine Zigarette an, die zweite an diesem Tag. Er fühlte sich immer noch dumpf im
Kopf, aber sein Magen hatte sich anscheinend ein wenig erholt. Vielleicht wurde er sogar langsam
hungrig. Rebus sah nach einem harten Burschen aus, aber nicht so hart, wie er vor zehn Jahren
gewesen sein musste. In diesem Augenblick lag er vermutlich mit Gill Templer im Bett. Dieser
Schweinehund. Dieser glückliche Schweinehund. Sein Magen schlug in einem plötzlichen Anfall von
Eifersucht einen kleinen Purzelbaum. Die Zigarette tat ihm gut. Sie erfüllte ihn mit neuer
Lebenskraft oder schien es zumindest zu tun. Doch er wusste, dass sie ihn auch innerlich zerfraß,
seine Eingeweide in dunkelrote Fetzen riss. Zum Teufel damit. Er rauchte, weil er ohne Zigaretten
nicht denken konnte. Und jetzt dachte er gerade heftig.
»Hey, machst du mir 'nen Doppelten?«
»Noch 'nen Orangensaft?«
Stevens sah ihn fassungslos an.
»Bist du bekloppt«, sagte er, »Whisky, und zwar Grouse, wenn das da in der Flasche wirklich
Grouse ist.«
»Diese Art Spielchen spielen wir hier nicht.«
»Freut mich zu hören.«
Er trank den Whisky und fühlte sich besser. Dann begann er sich wieder schlechter zu fühlen. Er
ging zur Toilette, doch von dem Gestank da drinnen wurde ihm noch schlechter. Er beugte sich über
das Waschbecken und brachte unter lautem Würgen einige wenige Tropfen Flüssigkeit heraus. Er
musste mit dem Saufen aufhören. Er musste mit dem Rauchen aufhören. Das brachte ihn um, und doch
war es das Einzige, was ihn am Leben erhielt.
Schwitzend ging er zu Big Podeens Tisch hinüber. Er fühlte sich alt, älter als er war.
»Das war ein echt gutes Frühstück«, sagte der massige Mann und seine Augen strahlten wie die
eines Kindes.
Stevens setzte sich neben ihn.
»Was hört man denn so über korrupte Bullen?«, fragte er.
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XII
»Hallo, Daddy.« Sie war elf, sah aber älter aus und redete und lächelte auch so; elf mit einem
Touch von einundzwanzig. Das hatte das Zusammenleben mit Rhona aus seiner Tochter gemacht. Er
küsste sie auf die Wange und dachte daran, wie Gill sich verabschiedet hatte. Ein Hauch von
Parfüm umgab sie, und ihre Augen waren leicht geschminkt.
Er hätte Rhona umbringen können.
»Hallo, Sammy«, sagte er.
»Mummy meint, ich sollte mich jetzt Samantha nennen lassen, wo ich schon so groß bin, aber es ist
sicher okay, wenn du mich weiter Sammy nennst.«
»Nun ja, Mummy weiß das sicher am besten, Samantha.«
Er warf einen Blick auf seine Frau, die bereits wieder auf Abstand gegangen war. So schlank wie
sie aussah, musste sie sich gewaltsam in einen besonders festen Hüfthalter gezwängt haben.
Erleichtert stellte er fest, dass sie nicht so gut mit der Situation fertig wurde, wie ihre
gelegentlichen Telefongespräche es ihm suggerieren wollten. Jetzt stieg sie, ohne sich noch
einmal umzudrehen, in ihr Auto, ein kleines und teures Modell, das jedoch auf einer Seite eine
ganz schöne Delle hatte. Rebus war dankbar für diese Delle.
Er erinnerte sich, wie er ihren Körper genossen hatte, wenn sie sich liebten, das weiche Fleisch
- die Fettpolster, wie sie es nannte - auf ihren Oberschenkeln und ihrem Rücken. Heute hatte sie
ihn mit kalten Augen angesehen, zunächst voller Ahnungslosigkeit, und hatte dann gesehen, wie
seine Augen immer noch vor sexueller Befriedigung glänzten. Darauf hatte sie sich auf dem Absatz
umgedreht. Es war also wahr, sie konnte immer noch in sein Herz sehen. Doch sie hatte es nie
geschafft, in seine Seele zu sehen. Dieses lebenswichtige Organ war ihr völlig entgangen.
»Was möchtest du denn machen?«
Sie standen am Eingang zu den Princes Street Gardens, ganz in der Nähe der Touristenattraktionen
von Edinburgh. Nur wenige Leute schlenderten an diesem Sonntag an den geschlossenen Läden auf der
Princes Street vorbei,
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