Verborgene Muster
Gruppe von Jungen an einem anderen Tisch flüsternd und
kichernd zu ihm und seiner Tochter herübersahen. Sie schoben ihre Haare zurück und zogen an ihren
Zigaretten, als ob es das Leben selbst wäre. Wenn Sammy nicht dabei gewesen wäre, hatte er sie
wegen selbstverschuldeter Wachstumshemmung verhaftet.
Außerdem beneidete er sie um ihre Zigaretten. Er rauchte nämlich nicht, wenn er mit Sammy
zusammen war; sie mochte das nicht. Auch ihre Mutter hatte ihn vor langer Zeit angebrüllt, er
solle damit aufhören, und hatte seine Zigaretten und sein Feuerzeug versteckt, woraufhin er
überall im Haus kleine versteckte Depots mit Zigaretten und Streichhölzern angelegt hatte. Er
hatte rücksichtslos weiter geraucht und siegesbewusst gelacht, wenn er mal wieder mit einer
brennenden Zigarette zwischen den Lippen ins Wohnzimmer geschlendert kam und Rhona ihn anschrie,
er solle das verdammte Ding ausmachen, um ihn dann mit wild fuchtelnden Händen durch das Zimmer
zu jagen, bereit, ihm den Glimmstengel aus dem Mund zu hauen.
Das waren glückliche Zeiten gewesen, in denen sie ihre Konflikte noch liebevoll ausgetragen
hatten.
»Wie geht's in der Schule?«
»Ganz gut. Hast du mit diesem Mordfall zu tun?«
»Ja.« Gott, er hätte für eine Zigarette morden können, einem der Jungen den Kopf abreißen
können.
»Wirst du ihn erwischen?«
»Ja.«
»Was macht er mit den Mädchen, Daddy?« Ihre Augen, die ganz beiläufig zu blicken versuchten,
untersuchten den fast leeren Eisbecher sehr gründlich.
»Er macht nichts mit ihnen.«
»Ermordet sie nur?« Ihre Lippen waren blass. Plötzlich war sie wieder ganz sein Kind, ganz seine
Tochter, die seinen Schutz brauchte. Rebus hätte am liebsten den Arm um sie gelegt, sie getröstet
und ihr gesagt, dass die große böse Welt irgendwo dort draußen war, nicht hier drinnen, dass sie
in Sicherheit war.
»Das stimmt«, sagte er stattdessen.
»Ich bin froh, dass er nicht mehr macht.«
Die Jungen fingen jetzt an zu pfeifen, um Sammys Aufmerksamkeit zu erregen. Rebus spürte, wie er
rot im Gesicht wurde. An einem anderen Tag, an jedem anderen Tag wäre er schnurstracks auf sie
zugesteuert und hätte ihnen das Gesetz in ihre kalten kleinen Gesichter gerammt. Aber er war
nicht im Dienst. Er war dabei, einen Nachmittag mit seiner Tochter zu genießen, dem
unberechenbaren Produkt eines einzigen hinausgestöhnten Höhepunkts, bei dem ein Spermium das
Glück hatte, durch den Schleim hindurch den langen Weg bis zum Ziel zu schaffen. Zweifellos würde
Rhona inzwischen bereits nach ihrem Buch des Tages greifen, ihrer Literatur. Sie würde den
reglosen, erschöpften Körper ihres Liebhabers von sich stoßen, ohne dass ein Wort zwischen ihnen
fiel. War sie in Gedanken die ganze Zeit bei ihren Büchern? Vielleicht. Und er, der Liebhaber,
wurde sich plötzlich ausgehöhlt und leer fühlen, ganz so, als hätte nie ein Austausch
stattgefunden. Das war ihr Sieg.
Und mit einem Kuss wurde er sie dann anschreien. Der Schrei des Verlangens, der Einzelhaft.
Lasst mich raus. Lasst mich raus...
»Komm, lass uns gehen.«
»Okay.«
Und als sie an dem Tisch mit den schmachtenden Jungen vorbeikamen, deren Gesichter kaum ihre Lust
verhüllten und die wie Affen plapperten, lächelte Samantha einen von ihnen an. Sie lächelte einen
von ihnen an.
Während Rebus gierig die frische Luft einatmete, fragte er sich, was aus dieser Welt geworden
war. Vielleicht glaubte er nur deshalb an eine andere Realität hinter den Dingen, weil das
Alltägliche so beängstigend und so furchtbar traurig war.
Denn wenn es darüber hinaus nichts gab, dann wäre das Leben die erbärmlichste Erfindung aller
Zeiten. Er hätte diese Jungen umbringen können, und er wollte seine Tochter mit seiner Liebe
erdrücken, um sie vor dem zu schützen, was sie wollte - und bekommen würde. Ihm wurde klar, dass
er ihr im Gegensatz zu diesen Jungen nichts zu sagen hatte, dass er nichts mit ihr gemein hatte
bis auf das Blut, während sie alles mit ihr gemein hatten. Der Himmel war so finster wie in einer
Wagner-Oper, so finster wie die Gedanken eines Mörders. Die Gleichnisse wurden immer düsterer,
während John Rebus' Welt auseinander fiel.
»Es wird Zeit«, sagte sie - an seiner Seite und doch irgendwie so viel größer als er, so viel
mehr voller Leben. »Es wird Zeit.«
Und das wurde es tatsächlich.
»Wir sollten uns beeilen«, sagte Rebus. »Es fängt gleich an zu regnen.«
Er war müde und dachte daran, dass er nicht
Weitere Kostenlose Bücher