Verborgene Tränen (Windham-Reihe) (German Edition)
„… wenn er also nicht grob zu dir ist, was ist dann der Grund für dein Unglück?“
Amelie atmete tief durch. Sie fand keine Worte, ihre Gefühle zu beschreiben. Seit Dean sie im Badehaus verlassen hatte, kam sie sich wie ein Schiff vor, welches in einem Sturm herumgewirbelt wurde – ohne Kapitän und ohne Anker. Sie fürchtete zu kentern, wenn ihr keiner zu Hilfe kam. Verlegenheit färbte ihre Wangen rot, und sie biss sich nervös auf die Lippen.
Fiona hob die Augenbrauen.
„Ist es etwas, was er im Ehebett von dir verlangt?“
Amelie, die gerade nach der Teekanne gegriffen hatte, verschüttete vor Schreck etwas von der heißen Flüssigkeit, als sie Fiona entsetzt anstarrte.
„Nein!“, rief sie entrüstet, während sie den Tee vom Tisch tupfte. „Oder ... zumindest nicht direkt …“, verbesserte sie sich schließlich. „… Er hat mich im Ehebett noch nicht besucht. Er geht mir aus dem Weg, wann immer er kann.“
„Wirklich? Er hat die Ehe nicht vollzogen?“
„Nein. Und nun ist er wieder nach London gefahren. Vermutlich liegt er in diesem Moment im Bett seiner Geliebten – und ... ich sage dir eines, Fiona: Mir macht das etwas aus! Ich finde die Vorstellung furchtbar!“
„Unsinn! Du findest das nur furchtbar, weil du eine zu romantische Vorstellung davon hast, was sich zwischen Mann und Frau abspielt. Wenn er erst seine schwielige Hand lüstern über deinen Körper gleiten lässt, dann wirst du ebenso froh sein, ihn weit weg in London zu wissen, wie ich es bin, wenn Vincent außer Haus ist.“
Amelies Wangen glühten noch heißer, als sie die Augen niederschlug und kaum hörbar widersprach.
„Nein, Fiona! Das ist es ja gerade! Ich ertrage es kaum, mir auszumalen, dass er Lady Rochester so berührt, wie er mich … nun, ich meine … es gehört sich eben nicht!“
„Was?“
Fionas Stimme hallte durch den Raum. Ungläubig suchte sie in Amelies Gesicht nach Bestätigung für ihren Verdacht. „Du hast gesagt, er hat dich noch nicht berührt.“
„Das habe ich nicht gesagt! Ich sagte, er hat mir nicht beigewohnt, aber … ähm … nun ... berührt hat er mich ... schon! Und das Schlimmste ist: Es hat mir gefallen. Ich weiß, ich bin schamlos und verdorben, genau, wie Vater es immer gesagt hat. Und Adrian, was würde er davon halten? Ich hintergehe ihn“, jammerte Amelie.
„Sei nicht lächerlich! Du kannst Adrian nicht hintergehen, weil es nichts gibt, was euch verbindet. Ein Mann wie er ist nichts für eine Frau wie dich!“
„Du hörst dich an wie mein Vater, dabei kann man ein liebendes Herz nicht lenken“, widersprach Amelie heftig.
„Pah! Waren das Adrians Worte? Hat er dich mit diesem Unsinn dazu gebracht, dich in ihn zu verlieben?“
Fiona stand auf und umarmte ihre Freundin. „Hör mir zu, meine Liebe, du weißt, ich will immer nur dein Glück, aber in dieser Sache teile ich die Meinung deines Vaters. Vergiss Adrian endlich! Himmel! Er war der Rittmeister in deines Vaters Ställen, der hoffte, durch dich an Geld und Titel zu gelangen.“
„Nein! Du irrst dich! Er liebt mich! Und eines Tages wird er zurückkommen und erkennen, dass ich seiner Zuneigung nicht wert war.“
„Falls er eines Tages zurückkehrt, wird er in erster Linie feststellen, dass du verheiratet bist“, belehrte sie Fiona und stemmte energisch ihre Hände in die Hüfte. „Und dass dir die Berührungen deines Gatten nicht unangenehm sind, macht dich noch lange nicht zu einem verdorbenen Frauenzimmer. Ich wünschte, ich hätte so ein Glück!“
Irritiert über ihre eigenen Gefühle ließ sich Amelie in den Sessel fallen und schloss die Augen. Sie fühlte sich schuldig. Sie wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen.
Der laue Sommerabend hatte den Himmel damals in flammendes Rot getaucht. Ihr sechzehnter Geburtstag hatte in diesem Farbenspiel einen würdigen Ausklang gefunden. Die gescheckte Stute schritt unter ihrer Führung elegant zurück zum Stall. Dort nahm ihr Adrian die Zügel aus der Hand, und ihr Vater half ihr aus dem Sattel. Der neue Damensattel und die Stute waren sein Geschenk an sie, und Amelie hatte den Ausflug in vollen Zügen genossen. Ihr Vater hatte zuvor stolz berichtet, dass Sparkle extra für sie von Adrian Clark, dem neuen Rittmeister, zugeritten worden sei.
Gemeinsam gingen sie zum Stall zurück, wo Amelies Vater sich schließlich entschuldigte. Er habe noch zu tun. Amelie jedoch wollte ihr Pferd noch nicht verlassen, und so ging sie zusammen mit Adrian in
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