Verborgene Tränen (Windham-Reihe) (German Edition)
sich anzukleiden begann. Er schien dabei große Eile an den Tag zu legen und schenkte ihr kaum Beachtung.
„Hast du einen Termin, mein Lieber, oder warum diese Hast?“
Er sah sie noch nicht einmal an.
„Einen Termin? Äh … ja, richtig. Ich muss weg. Lass dir so viel Zeit, wie du möchtest. Nimm ein Frühstück, ehe du gehst, und entschuldige, dass ich dir keine Gesellschaft leisten kann.“
Lucinda rekelte sich auf dem Bett, und das Laken rutschte zu Boden. Nackt stand sie auf und trat zu ihrem Liebhaber.
„Das Frühstück interessiert mich nicht, Dean“, säuselte sie und rieb sich an ihm.
„Lucinda, Liebes, es tut mir leid. Ich werde das wiedergutmachen, aber nicht jetzt. Sei nicht böse, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Darf ich dich später für das Mitternachtsorchester im Park abholen?“
Er schob sie sanft, aber bestimmt von sich und knöpfte bereits seine Weste zu. Ihre Chance war vertan, und so ließ sie sich enttäuscht zurück in die warmen Kissen fallen.
„Oder wir machen es uns im Bett gemütlich“, schlug sie vor und leckte sich unmissverständlich die Lippen.
Dean trat an die Tür und lächelte.
„Sicher, ganz wie du wünschst. Nun entschuldige mich.“
Damit trat er aus der Tür, und Lucinda schlug wütend auf die Bettdecke.
Was war nur mit ihm los? Warum floh er aus seinem eigenen Schlafgemach, wo ihm doch die schöne Lucinda gerade aufs Reizendste gezeigt hatte, was er verpasste? Aber anstatt sich in ihren Armen die dringend nötige Erleichterung zu verschaffen, quälte ihn nun neben seiner angestauten Erregung noch das schlechte Gewissen. Das war absurd! Er musste einer Frau, die ihn mit einem Netz aus Lügen zur Ehe gezwungen hatte, nicht treu sein. Er brauchte sich um ihre Gefühle keine Gedanken machen.
Aber warum wollte ihm dann ihr schönes Antlitz nicht mehr aus dem Kopf gehen? Warum vertröstete er seine Mätresse schon, seit er in London angekommen war? Lucindas gekonnter Verführung zu widerstehen, war ihm in den letzten Tagen sogar überraschend leicht gefallen, wie er zugeben musste. Zu viele Sorgen trübten sein Vergnügen. Blonde, engelsgleiche Sorgen.
Er eilte die gewundene Treppe hinab und wäre beinahe gefallen, als er die bekannte Stimme vernahm.
Neben seinem Kutscher und Peter, der etliche Koffer um sich geschart hatte und nicht gerade erfreut aussah, stand Amelie. Sie trug ein azurblaues Kleid, einen breitkrempigen Hut mit blau schimmernden Federn und Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Sie hatten ihn noch nicht bemerkt, und so beobachtete er, wie Amelie sich etwas unsicher in der Halle umsah.
„Nun, … lasst meine Garderobe in ein freies Zimmer bringen, und dann seid so gut und sucht Lord Weston, damit ich ihn über meine Ankunft informieren kann.“
Mit einem Räuspern trat Dean die wenigen Stufen hinunter.
Sein verschlossener Blick verhieß nichts Gutes, als er sich beinahe spöttisch vor Amelie verneigte. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können für den Aufruhr ihrer Gefühle, den sein bloßer Anblick in ihr hervorrief. Was war das nur? Furcht?
Sein knappes „Mylady, was für eine Überraschung“ ließ offen, ob er diese Überraschung schätzte oder nicht. Der Blick aus seinen grauen Augen wanderte über ihr Kleid und die Koffer. Mit mehr Mut, als sie in Wahrheit empfand, versuchte sie, Fionas Worte zu wiederholen und ihre Anwesenheit zu erklären.
„Guten Tag, Mylord. Mir wurden in Woodland House die Tage lang. Darum habe ich beschlossen, ebenfalls einige Zeit in der Stadt zu verbringen. Sicher habt Ihr nichts dagegen einzuwenden. Wir könnten eine kleine Soiree veranstalten, Mylord. Ich denke, das wäre ein großes Vergnügen.“
Dean hob die Augenbrauen. Für so kühn hätte er seine Lady nicht gehalten, und ihr unsicherer Blick bestätigte seine Vermutung, dass es neu für sie war, für ihre Wünsche einzutreten. Herrje, da war sie wieder, diese unvergleichliche Mischung von verlockender Unschuld und reizendem Mut, die seine Sinne so verwirrte. Was sollte er denn jetzt tun? Er war aus Woodland House geflohen, um ihrer Nähe zu entrinnen, weil er nicht vorhatte, sich in seine Frau zu verlieben. Falls Liebe für ihn überhaupt möglich war, denn so wenig er an die Geschichte auch glaubte, musste er doch zugeben, dass kein Familienmitglied der Westons in den letzten Generationen sein Glück in der Liebe gefunden hatte. Aber was auch immer ihn derart bewegte – Liebe, Lust, Verlangen … er
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