Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Vergangenheit der Frau und die Geschichte, die sie über ihre verstorbenen Eltern erzählte, in Frage.“
„Bitte, Santos. Ich muss in anderthalb Stunden im Hotel sein.“ Glory sah ungeduldig auf ihre Uhr. „Könnten wir mit dieser Geschichtenerzählerei aufhören? Wenn du mir etwas zu sagen hast, sag’s bitte.“
„Also gut. Die Tochter ging auf ein gutes altes Internat in Memphis. Sie erzählte allen, ihre Eltern seien auf einer Auslandsreise ums Leben gekommen.“
Glory wandte sich ihm zu. „Was sagst du da?“
„Ich denke, du hast mich verstanden.“
Ungläubig erwiderte sie: „Du willst doch nicht etwa andeuten …“
„Doch.“
„Das ist lächerlich. Das würde heißen, dass meine Mutter …“
„Eine Lügnerin ist.“ Er umfasste das Steuer fester. „Meine Lily ist die Mutter in dieser Geschichte.“ Er sah zu Glory hinüber. „Sie ist deine Großmutter.“
Glory schüttelte langsam den Kopf, rote Flecken auf den Wangen. „Diese ganze Sache ist doch völlig absurd. Ich glaube dir kein Wort.“
„Absurd ist es allerdings, trotzdem ist es wahr.“
Glory legte zitternd eine Hand an die Schläfe. „Wenn Lily all die Jahre wusste, wie sie Kontakt mit mir aufnehmen konnte, wenn sie es gewollt hätte, warum hat sie es dann nicht getan?“
„Weil sie sich für das schämt, was sie war. Sie schämt sich dafür, wie sie ihren Lebensunterhalt verdient hat. Und sie hatte Angst, du würdest sie ebenso ablehnen, wie deine Mutter es getan hat. Sie hat sich von deiner Mutter einreden lassen, dass sie dein Leben ruinieren und beschmutzen würde.“ Er fuhr tief durchatmend fort: „Sie braucht dich, Glory. Sie sehnt sich nach dir. Sie stirbt.“
„Sie stirbt?“ wiederholte Glory schockiert.
„Ja.“ Santos kämpfte das Gefühl der Hoffnungslosigkeit nieder, das diese Bestätigung in ihm auslöste, und konzentrierte sich auf seinen Zorn auf Hope St. Germaine. „Und deine Mutter hat sich geweigert, sie zu besuchen. Es ist Lilys einziger und letzter Wunsch, und deine Mutter hat Nein gesagt.“
Er merkte, wie nachdenklich Glory wurde, obwohl sie ihm immer noch nicht zu glauben schien. Und er merkte, dass seine Geschichte sie gerührt hatte. „Ich weiß, dass das alles schwer für dich zu verdauen ist, und ich weiß auch, was das für dich bedeutet. Aber ich habe keinen Grund, dich in dieser Sache anzulügen.“
„Warum sollte ich dir glauben, Santos? Sag’s mir. Diese Geschichte ist so weit hergeholt, dass sie lächerlich klingt.“
„Weil die Geschichte stimmt. Und wenn du mich lässt, kann ich es dir beweisen.“
Sie zögerte verunsichert und sah wieder auf ihre Uhr. „Wie lange wird das dauern?“
„Länger, als du Zeit hast. Um meine Geschichte zu beweisen, müssen wir ein Stück fahren.“ Sie wollte offenbar ablehnen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Denk nach, Glory. Was, wenn die Geschichte stimmt? Wie wirst du dich fühlen, wenn du eine alte Frau hast einsam sterben lassen?“
Glory schwieg versonnen, schließlich seufzte sie: „Das bedeutet, dass alles, was ich von meiner Mutter weiß, gelogen ist.“
„Richtig. Aber ist es nicht trotzdem besser, die, wenn auch schmerzliche, Wahrheit zu erfahren?“
Sie nagte an ihrer Unterlippe und nickte schließlich. „Du sagst, du kannst es beweisen?“
„Ja.“
„Also gut, Santos. Beweise es.“
Santos brachte Glory zum River-Road-Haus. Während der Fahrt sprach sie kaum und hing ihren Gedanken nach. Er konnte nur ahnen, was ihr durch den Kopf ging, und wusste, dass es schwer für sie war. Aber er musste das für Lily tun. Lily brauchte ihre Enkelin. Santos schloss die großen Eisentore zum Anwesen auf. „Bist du bereit?“
Sie sah ihn gespannt an. „Ändert es etwas, wenn ich es nicht bin?“
Er lächelte grimmig: „Nein.“
„Also los.“ Er fuhr langsam die Eichenallee entlang, damit sie einen guten Blick auf das Haus bekam. Er verstand Lilys unglückliche Gefühle in Bezug auf dieses Haus, er jedoch liebte es. Für ihn war es der schönste Ort der Welt.
„Es ist wunderschön“, sagte Glory bewegt, als lese sie seine Gedanken.
„Das war Lilys Haus, ihr Heim, ihr Bordell. Es gehörte ihrer Mutter und davor der Großmutter.“
„Es ist das Pierron-Haus“, erkannte sie plötzlich. „Ich habe darüber gelesen. Ich erinnere mich, wie eine Mitschülerin auf einem Ausflug zur Oak-Alley-Plantage davon sprach.“
„Vermutlich haben die meisten Einwohner von Louisiana davon gehört. Die Pierron-Frauen und
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