Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
von der Tür zurück, damit er eintreten konnte. „Ich ziehe mir nur Schuhe an und hole meine Tasche.“
Während er wartete, sah er sich um. Das große, offene Foyer wurde rechts von einem Salon und links von einem Esszimmer flankiert. Wie die meisten Häuser im Garden District war auch ihr Cottage alt, vermutlich aus dem 18. Jahrhundert. Die Fenster reichten vom Boden bis fast zur Decke, und Holzboden und -leisten waren auf Hochglanz poliert.
Er hatte etwas Protzigeres erwartet. Ein Haus, das nach Wohlstand aussah und eher der Repräsentation als dem Wohnen diente. Stattdessen wirkte es wohnlich, ein unaufdringlich behagliches Heim.
„Du siehst verblüfft aus“, stellte Glory fest, als sie ins Foyer zurückkehrte.
„Tue ich das?“
„Ja.“ Sie schlang sich den Tragriemen der Tasche über die Schulter. „Vielleicht hast du bei einer Prinzessin einen Palast erwartet.“
Er gab sich desinteressiert, ärgerte sich jedoch, dass sie seine Gedanken lesen konnte. „Tut mir Leid, dich zu enttäuschen, Miss St. Germaine. Aber ich habe keinerlei Erwartungen in Bezug auf deine Lebensumstände.“
Sie errötete. „Um mich zu enttäuschen, müsste es mich interessieren, was du denkst. Das tut es aber nicht.“
„Gut.“ Er wies zur Tür. „Wenn du fertig bist …“
Schweigend stiegen sie in sein Auto. Santos streifte Glory mit einem Seitenblick. „Der Sicherheitsgurt, Miss St. Germaine. Das ist Vorschrift.“
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, schnallte sich jedoch an. Sie fuhren los Richtung St.-Charles-Avenue. Doch anstatt auf den Lee-Kreisel bog Santos auf die Interstate Richtung Westen ab.
„Ich dachte, wir wollten zum Präsidium.“
Er blickte auf den Tacho, der 65 Meilen zeigte. „Da habe ich gelogen.“
Glory brauchte eine Weile, zu begreifen, was er sagte. Dann verlangte sie: „Lass mich sofort aussteigen. Hörst du, Santos? Ich verlange, dass du sofort anhältst und mich aussteigen lässt.“
„Tut mir Leid, Glory, aber das geht nicht. Jemand braucht dich, jemand, an dem mir sehr liegt. Und ich werde sie nicht im Stich lassen.“
„Das ist doch lächerlich! Wenn du den Wagen nicht sofort anhältst, verklage ich dich wegen Kidnapping.“
Er lachte: „Sei nicht melodramatisch. Ich kidnappe dich nicht. Wir machen nur eine kleine Spritztour.“
„Gegen meinen Willen.“ Sie langte nach dem Türgriff. „Das ist Kidnapping.“
Santos trat aufs Gas. „Wenn ich du wäre, würde ich jetzt nicht rausspringen. Du könntest dich verletzen.“
„Du Ekel, dafür will ich deine Marke.“
„Wieder mal? Mir scheint, du leidest unter Markenneid.“
„Fahr zur Hölle!“
„Okay. Aber zuerst muss ich dir eine Geschichte erzählen. Und ich glaube kaum, dass du mir zuhören würdest, wenn du die Wahl hättest.“
„Also lässt du mir keine?“
„Richtig. Aber wenn du nach der Geschichte immer noch den Wunsch verspürst, aus dem Wagen zu springen, hast du meinen Segen.“
„Netter Mensch.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Was für eine Geschichte?“
„Es geht um eine Mutter und ihre Tochter.“ Er sah kurz zu ihr hinüber. Glory hatte das Gesicht zum Fenster gedreht und tat desinteressiert. „Diese Mutter liebte ihre Tochter über alles und wünschte ihr ein besseres Leben, als sie es gehabt hatte. Die Mutter war nämlich Prostituierte, eine Bordellchefin, genau gesagt. Sie führte ein Bordell wie schon ihre Mutter und Großmutter vor ihr.“
Er merkte, dass er Glorys Aufmerksamkeit hatte, da sie ihn ansah. „Diese Mutter arrangierte also eine neue Identität für ihre Tochter. Sie schickte sie auf eine gute Schule, wo niemand sie kannte und keiner wusste, woher sie kam. Die Tochter nutzte alles, was die Mutter ihr bot, löste sich aber völlig von ihr. Sie schlüpfte in eine neue Identität und täuschte jeden, sogar den Mann, den sie später heiratete. Sie brach ihrer Mutter das Herz, indem sie sich beharrlich weigerte, sie wieder zu sehen, gleichgültig, wie sehr die Mutter weinte und flehte. Diese Tochter weigerte sich sogar, ans Sterbebett der Mutter zu kommen, obwohl es der letzte Wunsch der Mutter war, sie noch einmal zu sehen.“
Eine Weile schwiegen beide. Schließlich räusperte Glory sich, offenbar mehr bewegt, als sie zugeben mochte. „Eine interessante Geschichte. Aber was habe ich damit zu tun?“
„Dazu komme ich gleich. Die Tochter verheiratete sich sehr gut. Auch sie bekam eine Tochter. Doch niemand kannte die Wahrheit. Niemand stellte die
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