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Verbotene Sehnsucht

Verbotene Sehnsucht

Titel: Verbotene Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kendall
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nahm er alles nur noch wie durch einen Nebel wahr. Dunkel erinnerte er sich, dass er sich hastig anzog und die Viscountess über seine Abreise in Kenntnis setzte. Missy schlief zu diesem Zeitpunkt noch, sodass er sich nicht von ihr verabschieden konnte. Eigentlich war er benommen und nicht schockiert. Während der Fahrt, erst mit der Kutsche und dann mit der Eisenbahn, fand er endlich Zeit, über den Tod seines Vaters nachzudenken– und darüber, was das für sein Leben bedeutete.
    Reeves, der schon seit James’ Kindertagen als Butler bei den Rutherfords diente, öffnete ihm die Tür. Der Mann schaute ihn ernst an, die Augen in dem schmalen Gesicht lagen in tiefen Höhlen, denn angesichts der langen Jahre im Haus war er dem Verstorbenen, wie viele der anderen Bediensteten auch, in besonderer Weise verbunden. Seine Mutter erwarte ihn im Musikzimmer, teilte er dem neuen Earl mit.
    Die Countess, groß und elegant und mit braunem Haar, saß auf einem zweisitzigen Sofa neben dem Flügel und nippte an ihrem Tee, der auf einem Tischchen neben ihr stand. Sie schaute ihn aus ihren blauen Augen an und lächelte, als er das Zimmer betrat. Es war ein trauriges Lächeln, bei dem sich die Mundwinkel kaum verzogen.
    » Ich bin viel zu jung, um schon Witwe zu sein, findest du nicht auch?«
    Typisch für seine Mutter. Was auch immer passierte, sie bewertete jedes Ereignis zuerst einmal danach, inwieweit es sie persönlich betraf. Der Tod seines Vaters würde nicht mehr bewirken als eine kleine Welle, die sich auf dem Meer ihres Lebens kräuselte– es sei denn, er hätte sie mittellos zurückgelassen.
    » Guten Abend, Mutter. Ich möchte behaupten, dass auch Vater viel zu jung war, um zu sterben«, erwiderte er trocken und hauchte ihr einen Kuss über die Wange, bevor er sich neben sie setzte. Er bemerkte, dass sie ein violettes Kleid mit gelbem Blütenmuster trug. Nun ja, er hatte ohnehin nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sie Trauerkleidung anlegen würde, obwohl es streng genommen als allgemein üblich galt, ein Jahr lang Schwarz zu tragen. Nach dem Tod ihrer eigenen Mutter vor zehn Jahren hatte sie sich darüber beklagt, wie bleich diese Farbe sie mache, und sich gerade einmal bereit erklärt, sich bei der Beerdigung an die Kleidervorschriften zu halten.
    » Schon als junger Mann ist dein Vater sehr waghalsig gewesen«, meinte sie und tupfte aus einem Augenwinkel eine imaginäre Träne weg, » und das hat sich niemals geändert.«
    » Ich würde es kaum als waghalsig bezeichnen, ein Pferd zu reiten.« Konnte sie selbst jetzt, da er tot war, nicht aufhören, an ihm herumzumäkeln? James senkte den Kopf und seufzte. Ob sie es ihren Söhnen wohl erlaubte, ohne ihre boshaften Bemerkungen um den Vater zu trauern?
    Sie achtete nicht auf seine Antwort, sondern fuhr fort mit ihrem Jammern. » Ich bin überrascht, dass er überhaupt hier war, denn das kam mittlerweile äußerst selten vor. Er zog es vor, in der Stadt zu bleiben, selbst in den Parlamentsferien. Und wenn er sich einmal aufraffte, dann wollte er immer schnell wieder weg. Auch diesmal… Nun ja.«
    » Mutter, wann findet die Beerdigung statt?«, unterbrach er ihren Redefluss.
    Er hatte nicht viel im Sinn mit seiner Mutter, und am liebsten wäre er wie der Vater dem Haus ferngeblieben. Aber wegen Christopher, seinem jüngeren Bruder, hatte er sich zu gelegentlichen Besuchen gezwungen.
    » In zwei Tagen. Ich bin froh, wenn ich endlich alles hinter mir habe.«
    » Und Christopher?«
    » Wir erwarten ihn für morgen.«
    James nickte bedächtig. Seine Augen brannten, und in seinem Kopf begann es zu pochen. Bis jetzt hatte er noch keine einzige Träne vergossen, nur eine merkwürdige Leere empfand er, die er jedoch nicht genau definieren konnte.
    Zwar hatte er seinem Vater nicht unbedingt nahegestanden, aber nichtsdestotrotz eine gewisse Seelenverwandtschaft zu ihm empfunden. Notgedrungen, wusste er doch seit jeher, dass er eines Tages in dessen Fußstapfen treten musste. Früher als erwartet und erhofft war dieser Moment nun gekommen– und damit das Ende seines unbeschwerten Lebens.
    Es hatte eine Zeit gegeben, in der er seine Mutter als glücklich und lachend und positiv gestimmt erlebte– so ähnlich wie Missy. Aber das schien eine Ewigkeit her, noch vor Christophers Geburt, und er konnte sich auch nicht mehr erinnern, wann die Veränderung genau eingetreten war.
    James ließ den Blick über das abwesend wirkende Gesicht seiner Mutter schweifen und fragte sich, wie es

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