Verbotene Sehnsucht
Stadthaus kommen und den Mädchen eine neue Garderobe schneidern zu lassen.
» Nun, bestimmt wissen Sie schon, dass Missy nach Amerika abreist.«
Die Neuigkeit traf ihn mit solcher Wucht, dass er den Boden unter den Füßen zu verlieren glaubte. Man schien ihm den Schock anzusehen, denn Claire Rutland zog sofort eine zerknirschte Miene. » Ich dachte, es sei Ihnen bekannt.«
James konnte nichts anderes tun, als nur schweigend den Kopf zu schütteln. Ein paar unbehagliche Sekunden später verabschiedete sich die junge Dame, um ihren morgendlichen Spaziergang fortzusetzen.
Mit schnellen, drängenden Schritten machte er sich auf den Rückweg zu seiner Kutsche. Dass Missy nach Amerika abreist, wiederholte er für sich immer wieder Claires Worte. Nur dieser Gedanke fand Platz in seinem Kopf, in dem es ansonsten drunter und drüber ging. Es war relativ einfach, sie für eine Weile nicht zu sehen, solange sie innerhalb seiner Reichweite blieb. Aber jetzt Amerika für Monate oder länger? Was, wenn sie einem amerikanischen Gentleman begegnete, der keinen Pfifferling darauf gab, ob sie noch Jungfrau war oder nicht? Es konnte durchaus sein, dass sie dort heiratete und nie mehr zurückkehrte.
Der bloße Gedanke ließ seine Schritte noch ausgreifender werden, bis er schließlich rannte. Der Lakai stand ruhig wartend neben dem Jagdwagen, als er sich näherte. James verlor kein Wort, nickte nur kurz und sprang auf den hohen Sitz, gefolgt von dem überraschten Diener, und schon bald fuhren sie im Eiltempo durch das südliche Tor aus dem Park.
James nahm immer zwei Stufen auf einmal und ließ den Türklopfer krachend gegen das Holz donnern. Kaum war geöffnet worden, schob er den irritierten Butler beiseite und rannte durch die Halle, weil er in der Bibliothek Stimmen hörte. Er riss die Tür auf, ohne anzuklopfen.
Armstrong und Cartwright hielten sich im Zimmer auf, jeder mit einem Glas in der Hand. Die beiden schauten James an, schienen aber weder besonders überrascht über seine Ankunft noch darüber, dass er ausnehmend erregt zu sein schien und sein Äußeres gelitten hatte– das Haar war wirr, das Halstuch verschoben, der Blick panisch.
» Wo ist sie?«, stieß er ohne Begrüßung hervor. Sein Atem ging stoßweise wie nach einem Lauf, seine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt.
Ohne zu erkennen zu geben, was ihm selbst durch den Kopf ging, musterte Armstrong ihn, während er sich tiefer in den Armsessel zurücklehnte. » Und wen genau meinst du mit › sie‹?« Arrogant zog er die Brauen hoch, und am liebsten hätte James ihm mit der Faust auf die ebenfalls arrogant hochgereckte Nase geschlagen.
James kam ein paar Schritte weiter in die Bibliothek hinein, stützte die Hände in die Seite, kniff die wild blickenden Augen zusammen. Kurz vor dem Sofa, das ihn noch von Armstrong trennte, blieb er stehen und starrte auf ihn hinunter.
» Das ist der falsche Zeitpunkt für solche Spielchen, Viscount Armstrong.«
Cartwright hinter ihm lachte ironisch auf. Außer sich vor Wut schwang James zu ihm herum.
» Vorsicht, kein Grund, beleidigt zu sein.« Zum Zeichen, dass er sich ergeben wollte, hob Cartwright die Hand, konnte sich indes ein Grinsen kaum verkneifen. » Ich wollte Armstrong nur vorschlagen, sich ein wenig zu entspannen, was dich betrifft. Aus Erfahrung wissen wir, dass es um deine Selbstbeherrschung schlecht bestellt ist, wenn du ihn so formell anredest. Dann kannst du dich in der Regel kaum noch zügeln.«
James lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Armstrong. Sollten sie doch ihren Spaß haben und sich nach Kräften amüsieren, nur nicht jetzt und nicht wegen der Angelegenheit mit Missy.
» Wo steckt sie?«, fragte er mit mühsam beherrschter Stimme.
Thomas schaute ihn direkt an und sagte: » Sie ist weg.« Vollkommen gelassen hob er den Drink an die Lippen und trank einen ordentlichen Schluck, bevor er das Glas lässig auf den Tisch zurückstellte, ohne James aus den Augen zu lassen.
James rang entsetzt nach Luft. Sie hatte ihn verlassen, war fort. Er klammerte sich an der Sofakante fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
» Wann?«
» Gestern.«
Benommen sank James auf das Sofa, denn seine Beine schienen nicht länger in der Lage, ihn zu tragen. Die Schultern fielen nach vorn, der Kopf sank auf die Brust. Innerlich fühlte er sich leer und hohl, genau dort, wo eigentlich sein Herz schlagen sollte. Claire Rutland hatte ihn in dem Glauben gewiegt, dass sie noch zu Hause sei, und er war davon
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