Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
nicht«, sagte sie, »ob ich dich sehr gern habe oder nicht. Aber auf jeden Fall brauche ich dich, Elizabeth. Ich verstehe es selbst nicht, aber ich lebe gar nicht mehr, seit du weg bist. Ich bin so allein!«
»Ja, aber...«
»Was? Edward? Belinda? Das gesellige Leben Norfolks? Nein, diese Art von Einsamkeit meine ich nicht. Ich habe immer Menschen um mich, mehr als ich eigentlich will. Aber ich bin trotzdem allein. Ich zweifele an meinem Dasein und an meiner Zukunft. Ich kann nicht daran glauben, daß noch irgend etwas Schönes in meinem Leben geschieht.«
»Nur weil ich fortging?«
»Ich weiß nicht. Jedenfalls konnte ich besser leben, solange du da warst. Aber jetzt ist alles nur noch trostlos.«
»Wegen Harriet?«
»Vielleicht auch ihretwegen. Ich habe nicht aufgepaßt. Cynthia prophezeite mir vor vielen Jahren, am Tag ihrer Hochzeit, welchen Weg ich gehen würde, doch ich glaubte ihr nicht. Sie sagte, Harriet würde ihre Kinder erbarmungslos an sich fesseln und mit ihren Krankheiten erpressen. Deshalb hat sie Anthony Aylesham geheiratet, den sie zu dieser Zeit nicht einmal besonders liebte. Ich verstand nicht völlig, was sie meinte, denn damals ließ Mutter mich noch in Ruhe. Und ich hatte dich. Mit dir zusammen würde ich sogar meine Mutter überstehen, dessen war ich gewiß. Es hätte alles so schön weitergehen können, wie es war...« Joannas Stimme schwankte.
»Ich werde krank vor Langeweile«, fuhr sie fort, »ein Tag ist wie der andere, eintönig und grau. Ich gehe im Park spazieren, Stunde um Stunde, über Wege, die ich schon tausendmal lief, unter Bäumen entlang, an denen kein Ast mir fremd ist, vom Schloß zum Parktor und an der Mauer entlang bis zu den Ställen, von dort an den Weiden vorüber und wieder zum Schloß. Und dann
alles noch einmal und noch einmal... und dann trinke ich Tee mit Mutter, sie schweigt mit schmerzvoller Miene oder berichtet mir von ihrer letzten schlaflosen Nacht oder von ihrer Hoffnung, bald wieder mit meinem Vater vereint zu sein. Ach, verdammt«, sie ließ den Kopf zurückfallen, daß er gegen die Tür schlug, »kannst du nicht verstehen, daß ich es nicht länger aushalte? «
»Ich verstehe es«, erwiderte Elizabeth. Mit einer gleichgültigen Geste strich sie über ihr weißes Kleid. »Das Brautkleid meiner Freundin Sally. Ich mußte es mir ausleihen für diese Reise. Weißt du, Joanna, mein Leben ist auch nicht ohne Schwierigkeiten. Wir sind bettelarm, wir wissen keinen Tag, wovon wir am nächsten leben sollen. Manchmal zermürbt mich der Hunger, dann wieder die Wirtin, die ihre Miete bezahlt haben will...«
»Und das ist nicht alles, oder? Man sagt, daß John trinkt.«
»Ach, das hat sich herumgesprochen? Ja, er trinkt. Und er stürzt sich immerzu in schreckliche Gefahren. Jetzt sind es Flugblätter gegen die Rekrutierungsmethoden der Navy, für die er sich verantworten muß.«
»Und du läßt ihn allein?«
»Ich sagte, ich kam, weil ich deine Hilfe brauche. Johns Lage ist noch schlimmer, als du denkst. Er ist im Gefängnis.«
»Nein!«
»Doch. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Was seinen Tod bedeutet, wie du vielleicht weißt oder wie du es jedenfalls wüßtest, wenn du wie ich einmal ein solches Gefängnis von innen gesehen hättest.«
»Aber wie kann man ihm helfen?«
»Fünfhundert Pfund«, sagte Elizabeth, »ich brauche fünfhundert Pfund, um ihn freizukaufen. Doch ich habe das Geld nicht. Ich besitze nicht einen einzigen Farthing.«
Joanna sah sie an, dann lachte sie schrill und laut auf.
»Das hätte ich mir denken können!« rief sie. »Geld! Deshalb kommst du zu mir! Nichts anderes konnte dich zu mir treiben als das verzweifelte Verlangen nach Geld. O Elizabeth, ich hätte
dich im Leben nicht wiedergesehen, wenn du nicht meine Hilfe gebraucht hättest!«
Elizabeth antwortete nicht darauf. Draußen ließ der Regen nach, der Donner wurde leiser. Zwischen dunklen Wolken brachen schwache Sonnenstrahlen hindurch und ließen die nassen Wiesen glitzern.
»Vielleicht verstehe ich deine Bitterkeit«, sagte Elizabeth, »aber ich wußte keinen anderen Ausweg. Bei allem, was ich falsch gemacht und euch angetan habe, denke ich doch, daß hier immer noch mein Zuhause ist und daß ihr mir helfen werdet.«
»Du vergißt etwas. Wir sind nicht mehr reich. Wir haben doch auch keine fünfhundert Pfund.«
Elizabeth sah sich in dem Zimmer um.
»Aber...«
»Verkaufen? Ich weiß nicht, ob Mutter das tun wird. Obwohl
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