Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
damals nicht von ihm weggegangen, dann steckte sie nun auch wieder in Schwierigkeiten. So gläubig, anzunehmen, sie hätte ihn davon abhalten können, war sie heute nicht mehr. Sie hatte auf ihn ebenso wenig Einfluß gehabt wie irgend jemand sonst. Resigniert blickte sie aus den Fenstern ihrer Kutsche auf die Wände der schiefen alten Häuser, an denen sie vorüberrollte.
Unglücklicherweise war Andrew bereits daheim, als Elizabeth ankam. Seine Verabredung hatte nicht lange gedauert, so war er gleich zurückgekommen und hatte Elizabeth zu seiner Verwunderung nicht angetroffen. Da sie nichts davon gesagt hatte, fortgehen zu wollen, machte er sich bald Sorgen und wurde zunehmend ärgerlich.
Als sie nun endlich in die Bibliothek trat, wo er vor dem Kamin saß und las, bemerkte sie sofort, daß er sich in äußerst schlechter Stimmung befand.
»Ah, du bist schon da«, sagte sie so unbefangen wie möglich, »ich dachte, es würde länger dauern.«
»Und das wäre dir wahrscheinlich auch lieber gewesen!«
»Nein, natürlich nicht. Aber wenn ich gewußt hätte, wie bald du kommst, hätte ich dir gesagt, daß ich weggehe.«
»Wie freundlich«, meinte Andrew aggressiv. Elizabeth sah ihn erstaunt an. Diesen Ton hatte er selten. Meist zeigte er sich so ausgeglichen und ruhig, wie sie es kaum an einem anderen Menschen erlebt hatte.
»Andrew«, begann sie, »ich...«
»Würdest du mich wenigstens nachträglich noch aufklären, wo du gewesen bist?«
»Bei Sally.«
»Verzeihung, das hätte ich mir auch so denken können. Wie dumm von mir.«
»Ich weiß ja, daß du Sally nicht leiden kannst, aber...«
»Ich kenne sie nicht.«
Elizabeth nahm ärgerlich ihren Schal vom Hals und warf ihn auf einen Sessel.
»Könntest du mich vielleicht auch einmal ausreden lassen?«
»Sicher. Entschuldige bitte.«
»Ich wollte sagen, daß Sally, auch wenn du sie nicht leiden kannst, zu meinen besten Freunden gehört. Sie stammt aus einer anderen Gesellschaftsschicht, aber in meiner Vergangenheit war ich nun einmal mit diesen Leuten zusammen, und sie haben mich ohne Vorbehalte aufgenommen. Jetzt geht es mir gut, und da soll ich sie vergessen?«
Andrew stand auf und legte endlich das Buch weg, in dem er gelesen hatte.
»Du sprichst von Vergangenheit«, sagte er, »aber das ist es, du schließt mit dieser Vergangenheit nicht ab. Du schleppst sie mit dir herum, und manchmal habe ich das Gefühl, daß du stärker an ihr hängst als an der Gegenwart.«
»Das bildest du dir ein. Ich verstehe bloß nicht, warum ich Menschen, die mir lieb sind, nicht mehr sehen soll, nur weil ich deine Frau geworden bin. Weshalb soll ich mich einem System unterordnen, das eine so unverrückbare Trennung von Arm und Reich verlangt? Ich sehe das einfach nicht ein. Es ist so unsinnig, sich nicht überall Freunde suchen zu dürfen...« Sie schwieg und sah ihn bittend an, in der Hoffnung, er würde sie verstehen. Er schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, du weißt nicht, was ich meine«, sagte er. »Es geht mir nicht um die gesellschaftliche Zugehörigkeit. Ich habe mit diesen Menschen bisher nie etwas zu tun gehabt, aber ich glaube dir, was du von ihnen erzählst, und du bist ein freier Mensch und darfst tun, was du möchtest. Wovor ich Angst habe ist...« Er zögerte. Sein Gesicht hatte seine übliche Ruhe verloren. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, gewahrte Elizabeth ein Flackern in seinen Augen, das ihr angstvoll und unsicher schien.
»Zum Teufel«, sagte er hart, »wir hätten nie nach London kommen dürfen. Ich bin ein Dummkopf, daß ich mich darauf eingelassen habe!«
»Wovor hast du Angst?« fragte Elizabeth weich.
»Kannst du dir das nicht denken? Vor John Carmody habe ich Angst — denn hier in London ist er plötzlich wieder lebendig. Hier begann deine Zeit mit ihm, und immer und ständig habe ich das Gefühl, daß du ihn hier wiedersehen wirst.«
»Aber Andrew...« Seltsamerweise konnte sie auf einmal seinem Blick nicht standhalten. Wie er dort an dem hohen Bücherregal lehnte, inmitten des Reichtums dieses Zimmers, im trüben Zwielicht des Januartages, erhellt vom Schein des Kaminfeuers, in dem sein Haar sanft rötlich glänzte, da kam er ihr mit dieser Mischung aus Traurigkeit und Eifersucht auf dem Gesicht so fremd vor, viel fremder als früher in ihrer Jugendzeit. Im Grunde war sie nie wirklich vertraut mit ihm geworden, obwohl sie zwei Jahre schon mit ihm lebte und ihn liebte. Diese zwei Jahre, ob es sie gab oder nicht, es hätte
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