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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Schleier zusammengenäht. Elizabeth, die sie dabei hatte jammern und stöhnen hören, überlegte die ganze Zeit, ob sie soviel ungebrochenes Traditionsbewußtsein bewundern oder verachten sollte.
    Glücklicherweise ahnte weder sie noch sonst jemand, was John dachte, als er mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen am Grab stand. Er überlegte, was Hortense wohl tun würde, wenn sie wüßte, daß keineswegs nur Tante Marie unter der frischen Erde ruhte, sondern mit ihr zwei preußische Soldaten, die er, da er nun ohnehin eine Grube geschaufelt hatte und die vielen Toten sowieso noch ein Problem werden würden, gleich mit ihr bestattet hatte. Aber Hortense ahnte nichts, und er selbst würde das Geheimnis, daß auf dem geheiligten Friedhof der Sevignys einfache preußische Soldaten ruhten, sicher dereinst mit ins eigene Grab nehmen.
    Endlich wandte sich Hortense aufschluchzend ab und verließ, auf Paulette gestützt, die ummauerte Stätte. John und Elizabeth folgten ihr langsam. Es hörte noch immer nicht auf zu regnen, und die Welt sah grau und herbstlich aus, obwohl sie am Beginn des Sommers stand.

7
    Das Dörfchen Quatre Bras, das etwa auf halbem Weg zwischen Ligny und Waterloo lag, bestand nur aus ein paar niedrigen, steingemauerten Bauernhütten, Blumen- und Gemüsegärten, mageren Feldern und kleinen Waldstücken, zwischen denen der Garmioncourt-Bach leise plätschernd floß. Es lebten wenige
Menschen dort, Bauern mit ihren Familien, die nichts weiter besaßen als eine Handvoll braune Hühner, dürre Ziegen, ein altes Pferd und Scharen von hungrigen Katzen, die in den Scheunen Mäuse fingen und draußen auf den staubigen Feldwegen von struppigen Hunden gejagt wurden. Über die grünen, fruchtbaren Wiesen hüpften nur ein paar Hasen, am Rand des Baches lebten einige Sumpfottern, Blindschleichen, dicke gelbe Kröten und Frösche. Es gab kaum eine Attraktion in diesem Ort, der nur eine zufällige Zusammenfügung menschlicher Behausungen zu sein schien und seine einzige geringe Bedeutung aus der Tatsache gewann, daß sich hier die Wege von Namur nach Vivelles und von Charleroi nach Brüssel kreuzten und daher häufig Reisende aus der einen oder anderen Richtung vorbeikamen. Aus diesem Grund verfügte Quatre Bras über eine Herberge, ein ebenso rohes, ungefüges Steingemäuer wie auch die übrigen Bauernhäuser, aber über der Eingangstür mit einem angerosteten Schild versehen, das darauf hinwies, daß man hier übernachten und eine Mahlzeit bekommen konnte. Trat man durch die niedrige Tür, zu der moosüberwachsene, glitschige Stufen hinaufführten, so gelangte man in den weißgekalkten Schankraum, vor dessen Kamin meist ein Hund schlief. Weder hier an den wuchtigen Eichenholztischen noch in den Gärten und auf den Wegen des Dorfes herrschte jemals große Betriebsamkeit, denn die Menschen, die hier lebten, waren zu arm, um große Lust zum Feiern und Fröhlichsein zu verspüren, aber doch schimmerten in den Nächten vereinzelt Lichter aus den Fenstern ihrer Stuben. Wenn es Sommer war, kauerten Frauen auf den niedrigen Treppen vor ihren Häusern, um sich in der Kühle der Dunkelheit von den Strapazen des Tages zu erholen. Sie scheuchten ihre Kinder ins Haus und sahen lächelnd und etwas wehmütig den jungen Mädchen und Männern nach, die Hand in Hand über die Wiesen davonliefen, weil sie sich von den dunklen Wäldern und dem sanften Mondschein am Himmel ein wenig Abwechslung und Abenteuer versprachen.
    Es war die Nacht vom 18. auf den 19. Juni. Nachdem der Regen der vergangenen Tage endgültig aufgehört hatte, klarte der
Himmel nun mehr und mehr auf. Die Wolken schoben sich auseinander, Sterne und Mond blitzten hell hervor, ein leichter, warmer Wind wehte. Doch in ihm schwang nicht wie sonst in hellen Sommernächten der schwere, süße Duft blühender Linden und erster Rosen. Das ganze Land um Quatre Bras lag unter Pulverrauch, der sich ganz langsam nur verzog, und weder Linden noch Rosen standen hier mehr. Die steinernen Häuser lagen dunkel in der Nacht. Die niedergetrampelten Gärten aber, die zu Staub und Schlamm getretenen Äcker, der Bach und die Wiesen waren bedeckt mit gefallenen Soldaten. Nichts unterschied Quatre Bras von Ligny. Männer, Pferde, Säbel, Bajonette, zerfetzte Kleider, blutverschmierte Sättel und leergeschossene Gewehre lagen durcheinander. Über sie fluteten in dieser Nacht die fliehenden Franzosen hinweg, die, von den Preußen verfolgt, in einer verzweifelten Anstrengung die französische

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