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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Grenze zu erreichen suchten. Denn der vergangene Tag hatte die Entscheidung gebracht. Die Große Armee des Kaisers Napoleon Bonaparte war bei Waterloo geschlagen worden.
    Joanna, Edward und Belinda saßen dicht zusammengedrängt in einer engen, ungefederten Kutsche, die in halsbrecherischer Geschwindigkeit über die unebenen Wege ratterte. Sie hatten dem Kutscher einen atemberaubenden Preis dafür zahlen müssen, daß er sie an diesem späten Abend überhaupt fuhr, und er schien seine Nachgiebigkeit bereits zu bereuen, denn er jagte die Pferde vorwärts, als gehe es um Leben und Tod. Mehr als einmal glaubten die Fahrgäste, eine Achse müsse brechen oder ein Rad sich lösen und das ganze Gefährt den nächsten Wiesenhang hinunterstürzen. Sie wagten nicht hinauszusehen, sondern starrten nur vor sich hin auf den Fußboden, die angespannten Gesichter hin und wieder vom weißlichen Mondlicht beschienen. Belinda weinte immer noch, und Joanna hielt sich nur mit äußerster Mühe davor zurück, ihr mit scharfen Worten ihre ewige, unerträgliche Wehleidigkeit vorzuhalten. Belinda tat so, als sei alles Unglück der letzten Tage nur auf sie heruntergegangen, dabei hatten sie alle die Hölle durchlebt, und jeder von ihnen mußte damit fertig werden. Einmal hob sie den Kopf und sagte schniefend:

    »Wäre ich bloß nicht mit euch gekommen! Ich verstehe gar nicht...«
    »Niemand hat dich gezwungen«, unterbrach Joanna, »und erklären kann ich dir auch nichts!«
    Tatsächlich hatte Joanna keine Erklärung gewußt. Was hätte sie sagen sollen über den kopflosen Aufbruch Edwards vom Ball der Herzogin drei Abende zuvor, über ihre Fahrt in Richtung Quatre Bras, wo sie kurz vorher in östliche Richtung abbogen, weil der Kutscher sich weigerte, der französischen Armee direkt in die Arme zu laufen. Sie waren bis zu einem einsamen Gasthaus in den Wiesen und Wäldern irgendwo zwischen Ardenelle und Tilly gelangt, wo sie noch zwei Zimmer fanden, in denen sie die nächsten drei Tage verbrachten. Joanna war Stunde um Stunde wie eine eingesperrte, ruhelose Katze von der einen Wand ihres Zimmers zur anderen gelaufen, während Edward bloß stumm auf einem Stuhl am Fenster saß, sein Gesicht gegen die regenbespritzte Scheibe preßte und mit leeren Augen auf etwas blickte, das es nicht gab. Hin und wieder sickerte draußen zwischen den grauen Wolken ein etwas helleres Licht hindurch, so fahl und häßlich wie der Tag selber, und wenn etwas davon auf Edwards Gesicht fiel, dann schienen seine Lippen erschreckend blaß, und zwischen Mund und Nase glitzerten Schweißperlen. Es lag ein Ausdruck von Schwermut und Endgültigkeit über ihm, der Joanna zunehmend ängstigte und schließlich zornig werden ließ.
    »Bist du nun wenigstens glücklich?« fauchte sie. »Wir sitzen hier und warten nur darauf, daß eine Horde blutrünstiger Franzosen über uns herfällt und uns alle tötet!«
    Edward schwieg. Durch den Regen hindurch vernahmen sie das Artilleriefeuer von Quatre Bras und Ligny. Die Kämpfe dauerten bereits Stunden, und Joanna kam es vor, als habe sie ihr Leben lang kein anderes Geräusch gehört als dieses unaufhörliche Schießen. Die Gerüchte hinter den Fronten überschlugen sich, es hieß, die Preußen seien dicht vor einer Niederlage und Wellington könne ihnen auch nicht mehr helfen. Ein paar Bauern, die ihre Höfe im Tal Hals über Kopf verlassen hatten, berichteten, es könne sich nur noch um wenige Stunden handeln, dann müßten
die Verteidigungslinien der Preußen völlig zusammenbrechen.
    »Ehe der neue Tag beginnt«, flüsterten sie mit rußgeschwärzten Gesichtern, »ist Bonaparte der Herr im Lande, und die Franzosen werden plündern und morden!«
    Joanna wurde beinahe wahnsinnig vor Angst. Da sie wußte, daß an zwei Orten dicht bei ihr gekämpft wurde, bekam sie immer mehr das Gefühl, in einer Falle zu sitzen. Es gelang ihr nicht länger, sich um Edward zu sorgen und Rücksicht auf seine schwierige seelische Verfassung zu nehmen. Sie fragte sich nur noch verzweifelt, warum sie ihn begleitet hatte, und sie wünschte sich aus ganzem Herzen, in England zu sein. Sie lief herum, bis sie sich schließlich neben Edward niederkauerte, seine Beine mit beiden Händen umfaßte und schüttelte.
    »Womit habe ich denn das verdient?« schrie sie. »Sag mir doch endlich, was ich getan habe! Was habe ich getan, daß du dir das Recht nimmst, dich umzubringen und mich mit?«
    Edward sah sie mitleidlos an.
    »Daß du heute hier bist«, sagte er,

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