Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
hungrig wirkte und einen Zug von Wissen und Zynismus trug, der es unmöglich machte, ihr Alter einzuschätzen. Es erstaunte Elizabeth später sehr, als sie erfuhr, daß Laura erst zweiundzwanzig Jahre alt war.
John hatte die Situation gut im Griff.
»Laura, das ist eine Freundin von mir, Elizabeth Landale«, stellte er vor, »Elizabeth, das ist Laura Northstead.«
Laura zog die Augenbrauen hoch.
»Ist sie nicht sogar für deine Verhältnisse ein bißchen sehr jung, John?« fragte sie anzüglich.
»Ich sagte Freundin, liebe Laura, nicht Geliebte«, erwiderte John.
»Ah. Und wo kommt sie so plötzlich her?«
»Aus irgendeiner Schule bei Cambridge. Sie ist weggelaufen.«
»Ach du lieber Gott, und ausgerechnet in deine starken Arme wollte sie sich flüchten!« John warf Laura einen Blick zu, der sie offenbar ein wenig einschüchterte. Sie zuckte mit den Schultern.
»Mir kann es gleich sein«, meinte sie. Aber es war ihr keineswegs gleich. Sie zeigte keine Eifersucht, denn auf Anhieb hatte sie erkannt, daß Elizabeth keine auch nur andeutungsweise gefährliche Rivalin war, aber ein störender Eindringling war sie dennoch. Kam einfach hierher, drang in diese paradiesische Idylle ein und zerstörte die kostbare Zweisamkeit. Ein Kind mit Kulleraugen und blassem Gesicht, das durchgebrannt war und jetzt Hilfe erhoffte.
Wütend deckte sie den Tisch, zunächst ohne ein Wort zu sagen. Schließlich meinte sie:
»Jetzt setz dich schon. Hast du Hunger?« Elizabeth nickte und nahm Platz.
»John und ich haben heute früh Brot gebacken«, fuhr Laura fort, »hoffentlich schmeckt es.« Übergangslos setzte sie hinzu:
»Was denkst du dir eigentlich, wie du zurück nach Cambridge kommst?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nie darüber nachgedacht.«
»Du scheinst wenig zu denken. Hast du geglaubt, bei John leben zu können? Wie hätte er dagestanden, wenn das herausgekommen wäre! Du hast Glück, daß ich da bin, sonst hättest du euch beide schon in eine ziemlich anstößige Situation gebracht!«
»John wird einen Ausweg finden«, murmelte Elizabeth.
»Das hoffe ich. Er wird dich auf dem schnellsten Weg dorthin zurückbringen, von wo du hergekommen bist. Hast du wenigstens noch Geld? John ist ein verdammt armer Schlucker, und er kann nicht...« Sie brach ab, denn schon betrat John den Raum. Er brachte das Brot, das am Morgen gebacken worden war, und sie setzten sich um den Tisch herum und begannen zu essen. Zu Anfang herrschte eine etwas ungemütliche Atmosphäre, weil niemand wußte, was er sagen sollte. Schließlich aber bat John Elizabeth, noch ein wenig von der grausigen Miss Brande zu erzählen, ein Vorschlag, der sich als hervorragender Einfall erwies. Elizabeth begann etwas befangen zu reden, wurde aber immer lockerer und sah plötzlich selbst in vielen Episoden die Komik, die sich darin verbarg. Sie mußte selbst lachen, und John lachte auch, und schließlich stimmte sogar Laura ein. Sie sah jünger aus, wenn sie lachte, aber auch zum Verzweifeln hübsch. John schleppte schließlich noch eine Flasche Wein herbei, die sie zu dritt leertranken. Elizabeth begann sich zuversichtlicher zu fühlen.
»Wie war es in Frankreich?« erkundigte sie sich. Johns Gesicht wurde etwas düster.
»Ich denke nicht so gern daran«, erwiderte er. »Ich habe wohl den blutigsten Teil der Revolution dort miterlebt. Was sich in Paris im letzten Jahr abspielte, war ein einziges Schlachtfest. Die Wagen, die durch die Straßen rollten, mit den zusammengepferchten Menschen darauf, die überfüllten Gefängnisse, in denen die Gefangenen auf die Guillotine warteten ... ein abstoßendes, grausiges Schauspiel. Ich möchte nicht wissen, wie viele Unschuldige ihr Leben lassen mußten.«
»Kein Adliger ist unschuldig«, warf Laura ein.
»Ich bin ein Lord, Laura«, entgegnete John lächelnd.
»Ein Lumpenlord.«
»Und das macht es besser?«
»Zweifellos ja. Du beutest nicht aus, sondern wirst selber ausgebeutet. Von deinen Gläubigern, die dich in regelmäßigen Abständen so höflich aufsuchen!«
John schnitt eine Grimasse. »Wie auch immer«, sagte er, »die Massen dort, die täglich den Schrecken zusahen, schienen politisches Interesse längst verloren zu haben. Sie wollten nur Blut sehen und möglichst jeden Tag mehr, und sie tobten primitive Gelüste aus, indem sie sich völlig dem Grauen hingaben. Es war widerlich. «
»Was hattest du erwartet?« fragte Laura spöttisch. »Brot und Spiele, mehr wollte der Plebejer aller Länder und aller
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